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Tanja Stupar-Trifunović im Gespräch mit Mascha Dabić

Interview

Tanja Stupar-Trifunović im Gespräch mit Mascha Dabić

Im Jänner ist die bosnische Schriftstellerin Tanja Stupar-Trifunović im Rahmen der Westbalkan-Kooperation mit dem BMEIA als Writer-in-Residence ins MuseumsQuartier eingeladen und wird am 30. Jänner aus ihren aktuellen Werken im Raum D / Q21 lesen. Vorab traf sie Mascha Dabić zum Interview.

Im Jänner ist die bosnische Schriftstellerin Tanja Stupar-Trifunović im Rahmen der Westbalkan-Kooperation mit dem BMEIA als Writer-in-Residence ins MuseumsQuartier eingeladen und wird am 30. Jänner aus ihren aktuellen Werken im Raum D / Q21 lesen. Vorab traf sie Mascha Dabić zum Interview.

Was bedeutet es für Sie, Schriftstellerin zu sein? – Empfinden Sie sich selbst als Schriftstellerin auch in jenen Zeiträumen, in denen Sie gar nichts schreiben?

Eine Schriftstellerin zu sein ist für mich so etwas wie eine Lebensweise. Der Mensch manifestiert sich unter anderem durch das, was er tut. Das Schreiben ist definitiv eine anspruchsvolle, schöne und schwierige Weise, das eigene Erleben der Welt zum Ausdruck zu bringen. Ich denke, ich bin zum Glück nicht immer eine Schriftstellerin. Ich bin keine Auftragsschreibende – damit meine ich jene Autoren, die sich gerne auf Staatsempfängen blicken lassen; zu Hause bin ich auch keine Schriftstellerin, denn das würde meiner Tochter auf die Nerven gehen, für sie bin ich nur ihre Mutter; für meine Freunde bin ich ebenfalls keine Schriftstellerin – für sie bin ich so etwas wie ein fröhlich-trauriger Hofnarr; für meine Eltern bin ich ebenfalls keine Schriftstellerin – für sie bleibe ich immer ihr Kind. Glücklicherweise muss man nicht immer ein Schriftsteller sein, denn das würde bedeuten, dass man sein eigenes Leben einbüßt und zu einer bloßen Pose verkommt, was für das Schreiben an sich fatal ist. Häufig muss man alles andere als ein Schriftsteller sein, um wirklich schreiben zu können. Deshalb unterscheidet sich das Schreiben von anderen „Berufen“. Man kann das Schreiben nicht ein für alle Mal erlernen und sich zurücklehnen, weil man ja „ein Meister“ geworden wäre.

Wie wirken sich Stipendien auf dein Schreiben aus? Was bedeutet der Aufenthalt in Wien für dich – mehr Zeit, Inspiration, Freiheit …?

Ein Stipendium wie dieses hier in Wien bringt all das, was bereits erwähnt wurde, sowie noch eine zusätzliche, wertvolle Sache: Abstand vom Alltag. Genau dieser Abstand bietet die Möglichkeit, die Dinge aus einer etwas anderen Perspektive zu sehen, aus einem anderen Umfeld heraus, durch eine andere Atmosphäre – ein solcher Perspektivwechsel bedeutet immer einen Ansporn. Ganz gleich, wie viel Text man im Laufe eines solchen Stipendienaufenthalts tatsächlich schreibt, es ist immer nützlich, etwas Zeit in anderen Städten und Ländern zu verbringen, weil sich im Anschluss daran eine verlängerte Wirkung einstellt, „es arbeitet“ in einem selbst weiter, im Gedächtnis und in den Erinnerungen. Andere Städte und Menschen finden Eingang im Gepäck, mit welchem man durchs Leben geht, womöglich finden sie auch Eingang in die Bücher, die man schreibt, sie erweitern den Horizont und bringen neue Eindrücke.

Mütter und Töchter – Warum haben Sie dieses Thema für Ihren ersten Roman gewählt? 

Ich könnte gewitzt antworten, dass es das Thema war, das mich gewählt hat. Manchmal habe ich den Eindruck, ich bin so stark von einem Thema besetzt, dass ich ihm nur noch die Tür aufmachen muss. Dieses Thema habe ich selbst durchlebt, positioniert in einer anspruchsvollen Doppelrolle – als Mutter und als Tochter. Viele Emotionen spielen sich in diesem Dreieck ab, es ist alles stark aufgeladen, und man stellt sich oft die Frage: Wer sind eigentlich diese Frauen? Was für eine Person ist meine Mutter hinter ihrer Mutterrolle, der sie tagtäglich nachkommt und die so stark an ihrem Gesicht klebt, dass ich manchmal nur mit Mühe das menschliche Lebewesen mit seinen Träumen und Enttäuschungen dahinter erblicken kann. Was wird aus dem Kind, das sich vor meinen Augen in eine Frau verwandelt? Inwiefern sind wir einander ähnlich? Inwiefern unterschieden wir uns? Verlieren die Mütter auf dem Balkan durch ihre Tätigkeiten und Emotionen mitunter ihre Würde, selbst ebenfalls als Personen in Erscheinung zu treten und ihr Potenzial als Menschen zu entfalten? Wer sind meine weiblichen Vorfahren? Wie haben sie die vielen Kriege, das viele Grauen und die vielen Enttäuschungen überlebt? Es gab zahlreiche persönliche Fragen, die ich mir gestellt habe, und der Roman war eine Art Suche nach den eigenen, aber auch nach den universalen Antworten, sofern ein Mensch überhaupt in der Lage ist, diese Antworten zu finden. Manchmal tun sich bloß viele neue Fragen auf.

Prosa und Poesie: Sie sind als Lyrikerin bekannt, und doch haben Sie sich dafür entschieden, einen Roman zu schreiben. Hat das mit der Themenwahl zu tun oder ist es zufällig so passiert?

Ehrlich gesagt hat es mit dem Thema zu tun, denn das Thema erforderte eine größer angelegte Form. Oder man könnte auch sagen, die Gedichte sind zu einem Roman „ausgewachsen“, denn der Roman selbst ist ziemlich poetisch. Ansonsten gab es die Idee schon früher, und ich hatte schon früher den Wunsch, einen Roman zu schreiben. Schon als Kind habe ich versucht, neben Gedichten auch Romane zu schreiben, aber irgendwie haben mir meine diesbezüglichen Versuche nie gefallen, also habe ich damit aufgehört. Diesmal war der Roman offenbar ausgereift, und es ist mir gelungen, ihn zu Ende zu schreiben und den Text nicht zu entsorgen, zusammen mit den anderen unvollendeten Manuskripten.

Was lesen Sie? Was lesen Sie derzeit, und was lesen Sie generell?

Meine Lieblingsautoren, zu denen ich immer wieder zurück kehre, sind unter anderem Pessoa oder Kafka. Ich versuche jedoch auch die Gegenwartsliteratur zu rezipieren. Vor kurzem habe ich den Roman von Elena Ferrante gelesen, „Meine geniale Freundin.“

Gibt es in Bosnien und Herzegowina bzw. auf dem Balkan Besonderheiten im Hinblick auf die Literatur? Hat die Literatur einen besonderen Stellenwert für die Menschen? Wie ist die Situation für die Autorinnen und Autoren in der Region?

Je älter ich werde, desto mehr Scheu habe ich davor, verallgemeinernde Aussagen zu treffen. Daher kann ich keine Bestandsaufnahme über die Literatur in Bosnien und Herzegowina oder auf dem Balkan geben, denn jede Verallgemeinerung schließt zahlreiche Faktoren aus, die nicht so sind, und außerdem bringt sie in erster Linie die Perspektive des Beobachters zum Ausdruck. Die Literatur dagegen, vor allem jene, die heute entsteht, ist noch immer so etwas wie ein Magma, sie hat keine vorgefertigte Gestalt, und es ist schwer, eine Bewertung abzugeben. Man kann lediglich feststellen – es ist ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist.

Auf dem Balkan haben sich stürmische gesellschaftspolitische Prozesse und Umbrüche abgespielt, eine Gesellschaftsordnung ist zerbrochen, eine neue ist entstanden, es gab Kriege, viel Leid und eine Verarmung großer Bevölkerungsgruppen, während eine kleine Gruppe von Menschen sich bereichern konnte. Auf dem Weg von einem Gesellschaftssystem zum anderen ist unsere Gesellschaft in zahlreiche finstere Perioden geschlittert, die viel zu lange gedauert haben, und nun sehen wir eine Art kollektive Depression. Ich denke, dieser gesamtgesellschaftliche Zustand hat der Literatur einen Stempel aufgedrückt. Es ist jedoch von Autor zu Autor verschieden, auf welche Weise dieser Zustand sich manifestiert. Manche Autoren befassen sich direkt mit solchen Gegebenheiten, andere flüchten in utopische Bewusstseinsräume, und ob wir wollen oder nicht, die Wirklichkeit spiegelt sich auf uns wider, auf die Menschen und auf die Literatur in der Region.

Schriftsteller und Kulturschaffende in der Region arbeiten zum Teil eng zusammen, was sowohl an positiven als auch an negativen Faktoren liegt. Zum einen haben sie keine sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten (man kann sich fast im gesamten Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens gegenseitig verstehen, schriftlich und mündlich), zum anderen gibt es kaum Mittel, um Autoren aus dem Ausland einzuladen, und so gibt es einen regen Austausch innerhalb der Region. Allerdings sind zahlreiche Autoren in jeweils anderen ehemaligen jugoslawischen Republiken unerwünscht, nicht so sehr wegen ihres politischen Engagements oder ihres Werks, sondern häufig ausschließlich aufgrund der Tatsache, dass sie „dem anderen Volk“ angehören. Wir (damit meine ich den gesamten Raum des ehemaligen Jugoslawiens) leben in vielen Segmenten noch immer in einer Nachkriegswirklichkeit, die belastet ist durch Teilungen, durch das organisierte Verbrechen und politische Spekulationen. Häufig kommt auch ein gefährlicher und unmäßiger Revisionismus dazu sowie eine Faschisierung der Gesellschaft, die seit dem Zerfall Jugoslawiens aufgeflammt ist und bis heute andauert.

Interview und Übersetzung: Mascha Dabić

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