Bosnien ist für mich ein mythischer Ort
Writer-in-Residence Tanja Šljivar präsentiert am 25. Jänner 2016 eine szenische Lesung im MQ . Vorab haben wir die Dramatikerin in ihrem Studio besucht. Tanja spricht sehr gut Deutsch und es war ihr und mir eine Freude, das Interview auf Deutsch zu führen. Als sie dann hin und wieder das Gefühl hatte, ihre Sprachkenntnisse reichen nicht aus, um 100-prozentig das zu sagen, was sie möchte, wechselte sie ins Englische. Thanks for your understanding!
Als du Anfang Dezember nach Wien gekommen bist meintest du dir schwebe da so ein Stück vor mit dem Titel „Wie alle draufgängerischen Mädels tun“. Bist du noch dran an diesem Text und wenn ja, möchtest du darüber sprechen?
Glücklicherweise kann ich beide Fragen mit Ja beantworten. Es werden sieben Monologe sein, denn es geht um einen realen Fall, in dem sieben Mädchen eine Rolle spielen. Vor einem Jahr wurde in einer bosnischen Tageszeitung ein Bericht veröffentlicht, der über den „Zustand der Reproduktionsgesundheit von Jugendlichen“ aufklärte. In dem Bericht führte ein Frauenarzt – ein zweifelhafter Mann, wenn ich das so sagen kann – als ein Beispiel für „schlechtes, unausgebildetes und führungsloses sexuelles Verhalten“ den Fall einer Klassenfahrt an, bei der sieben dreizehnjährige Mädchen geschwängert wurden.
Die Nachricht wurde zum Skandal und fand Eingang in die Berichterstattung internationaler Medien. Es wurden viele Artikel veröffentlicht, aber niemals, wirklich in nicht einem einzigen Bericht – weder in den Artikeln noch in den Kommentaren von Lesern – stellte man die Frage: Mit wem oder durch wen sind diese Mädchen schwanger geworden? Waren das Jungs, Männer, einer, viele? They were really encouraging sexuality of boys by declaring it natural and not even bringing it up in public discourse, and disencouraging the sexuality of girls.
Von dieser unmöglichen Position, in der niemand weiß, was eigentlich passiert ist, gehe ich in meinem Stück aus. Mich interessiert dabei vor allem, was danach passiert ist. Das Stück wird ein wenig wie ein Roman aussehen, denn es gibt sehr viel Fließtext. Ich bin selbst immer noch gespannt, was noch passieren wird. Was ich weiß, ist dass das Ende emanzipatorisch sein muss. Ich werde die female friendship feiern.
Du schreibst also sieben Monologe, entsprechend der sieben Stimmen dieser Mädchen. Als Dramatikerin musst du viele Stimmen kennen und wiedergeben können. Wie gehst du auf Stimmenfang?
Ich bin in Bosnien aufgewachsen. 19 Jahre lang habe ich dort gewohnt. Die serbokroatische Sprache, oder das Bosnische, ist ziemlich speziell. Es gibt viel Slang, sowohl von älteren als auch von jungen Menschen. Ich habe in Belgrad studiert, in Serbien, trotzdem habe ich nie ein Stück geschrieben, das in Serbien spielt. Ich glaube meine Empfindsamkeit in der Kindheit, die Empfindsamkeit meiner Ohren und meines ganzen Körpers, hat mir geholfen diese Stimmen wahrzunehmen. Das hilft mir heute noch. Manchmal waren die Stimmen wahnsinnig lustig, manchmal aggressiv. Bosnien ist für mich ein mythischer Ort und ich kann immer noch aus meiner Kindheit heraus arbeiten.
Bei diesem Stück habe ich aber Probleme, denn die Sprache der Teenager hat sich sehr stark verändert, vor allem durch das Internet. Sie benutzen so viele Abkürzungen und sind einfach schneller als ich – und das, obwohl ich sehr schnell spreche. Es gibt da etwas, das ich nicht greifen kann. Am Anfang dachte ich es wäre ein Nachteil, aber jetzt denke ich, vielleicht könnte es auch ein Vorteil sein. I spend a lot of time reading teenage blogs or forum posts but it’s like they have a closed, exclusive community and they really have another view on things. It's a special way, inaccessible to my generation, in which you express knowledge in the digital age.
Vor kurzem sah ich das Stück „Die lächerliche Finsternis“ im Akademietheater. In der Pause, in der durchgespielt wurde, las eine der vier Schauspielerinnen folgenden Text von Wolfram Lotz vor: „Heute Vormittag habe ich mich wieder vor dem Schreiben gedrückt. Das Gefühl ist ja immer wieder da, dass ich über die Dinge nicht schreiben kann, weil ich sie nicht kenne. Dabei geht es natürlich gerade darum, um dieses Verhältnis. Aber irgendwo habe ich da doch immer wieder Zweifel, ob einem dann nicht die Vehemenz fehlt, wenn die Aufgabe ist, über was zu schreiben, was einem ‚fremd‘ ist. Da habe ich mich heute wieder gedrückt“. Würdest du sagen du schreibst über das, was du kennst oder über das, was du nicht kennst?
Was bedeutet es, sich zu drücken?
Es heißt, etwas nicht zu machen, das man machen sollte, einer Aufgabe aus dem Weg zu gehen.
Well, we were talking about that language, which is slippig through my fingers somehow . I think that of course a writer should write about something that he or she knows. Let’'s say I know Bosnia. But if there is something unknown, there is another quality to it, because then there is something that engages the author’s interest. What Mr. Lotz says, that he will not write about certain things, well, that is total procrastination! My teachers at the faculty of performing arts always said: „Inspiration doesn’t exist. You have to exercise your brain to find the stories.“ Then you really have to sit. And you have to sit every day. It’s a work in progress. If you want to achieve something you have to be alone. And at times when you are not alone, you have to be sensitive and perceptive, you have to be in the position of someone receiving.
You write drama. What is the value of theatre today?
I think the biggest value of the theatre lies in that simple definition of one body doing something in front of another body in a certain space. Only performance and theatre are producing this kind of state of bodily interaction with a clear awareness that it is always happening with a small and consensual shift in reality. Im besten Fall passiert etwas Magisches: Gemeinschaftsbildung. It happens rarely of course, because it can only happen in ideal conditions, but it happens.
Tanja Šljivar wurde 1988 in Banja Luka, Bosnien und Herzegowina geboren. Als Dramatikerin für Theater, Film und Radio gewann sie zahlreiche Preise. Ihre Stücke wurden ins Englische, Deutsche, Mazedonische, Polnische, Ungarische, Katalanische und Französische übersetzt. Die Writer-in-Residence präsentiert die szenische Lesung „Totgeboren“ mit Schauspielerin Nina Reichert am Montag, 25.01.2016, um 19h im Raum D / Q21, MuseumsQuartier (hier geht's zum Facebook-Event). In Kooperation mit dem BMEIA, Moderation: Mascha Dabic. mehr über die Autorin
Über den Text:
In Monologform beschreibt die Gattin des österreichischen Thronfolgers den Tag, an dem sie in Sarajevo ermordet und jenen an dem sie in Artstetten beerdigt wurde. Was bedeutete es 1914 Frau zu sein und was bedeutet es heute? Hat sich hier überhaupt etwas verändert? Sophie spricht aus ihrer Sicht und bezieht Frauen aus der Gegenwart ein, Gwyneth Paltrow oder Jennifer Lopez oder die eigenen Töchter. Oder auch die reichen muslimischen Frauen in feinen Kleidern, die man in Sarajevo sah. Sophie spricht aus dem Grab zu uns. Sie hat ein totgeborenes Kind zur Welt gebracht, aber das Unvermögen der Sprache, zu repräsentieren, wird nicht zum Tod des Textes führen, denn Sophie soll erst anfangen zu uns zu sprechen.
Interview: Margit Mössmer @margit_moer