Shenja Schittkowski: Einblick in ihre künstlerische Welt und Inspiration
Ein Gespräch mit der Comickünstlerin und MQ Artist-in-Residence Shenja Schittkowski.
Das MuseumsQuartier hat in Kooperation mit der KABINETT comic passage Shenja Schittkowski eingeladen, im Februar als Artist-in-Residence im MQ zu leben und zu arbeiten.
Im Gespräch mit Vinz Schwarzbauer und Thomas Kriebaum erzählt sie, wie alles begann, was sie inspiriert und gibt spannende Einblicke in ihre künstlerische Tätigkeit.
Vinz: Gab es einen Zeitpunkt an dem du dich entschieden hast Comiczeichnerin werden zu wollen?
Shenja: Ich glaube schon als Teenagerin, da habe ich Indie gehört und wollte auch etwas Cooles machen um mich auszudrücken. Ich habe mein Leben lang gerne gezeichnet und hatte das Glück, dass meine Mutter auch Zeichnerin ist. Sie hat eine Ausbildung zur Porzellanmalerin gemacht und ich habe viel von ihr gelernt. Da ich zu schüchtern war, um selbst Musik zu machen, habe ich dann eben gezeichnet.
Thomas: Hat deine Mutter aktiv mit dir gezeichnet? Bei meinen Kindern lag eher immer Zeichenmaterial herum, aber sie wollten nicht unbedingt, dass ich aktiv mit ihnen zeichne. So wie es normal ist, dass in Musiker:innenfamilien die Kinder auch musizieren, einfach weil Instrumente herumstehen.
Shenja: Wie war das bei Bourdieu, das war doch dieser Heini, der das mit dem kulturellen Kapital geschrieben hat. Auch wenn du kein monetäres Kapital hast, könntest du über kulturelles oder soziales Kapital verfügen. Wenn du die Möglichkeit hast, dass Stifte herumliegen und nicht ständig gefordert wird „Nein, du musst jetzt putzen oder beim Abwasch helfen oder Zeitungen austragen“, ist das auch eine Art von Privileg.
Vinz: Gibt es Comics aus deiner Kindheit und Jugend die dich geprägt haben?
Shenja: Ja, es gab eine Kinderbuchillustratorin, Elisabeth Shaw, die sehr schöne Geschichten geschrieben hat. Zum Beispiel die Geschichte vom kleinen Angsthasen, der sich nie getraut hat mit den gleichaltrigen Hasen zu spielen, weil sie ihm zu rabaukig waren. Sie verwendet ganz einfache Striche und sehr berührende Erzählungen. Zum Beispiel darüber, dass man nicht immer konform sein muss und dass es okay ist, ein bisschen sensibler oder ein bisschen fauler zu sein. Ansonsten natürlich die Klassiker, die es in der Bibliothek gab, wie die Peanuts oder Calvin und Hobbes.
Vinz: Als ich dich für die KABINETT comic passage vorgeschlagen habe, hat Thomas eine stilistische Verwandtschaft zum Comiczeichner Mawil gesehen. Kannst du damit was anfangen?
Shenja: Bestimmt, ich habe tatsächlich mit 16 einen Comic-Kurs bei Mawil gemacht. Damals hatte er gerade seinen ersten Comic veröffentlicht. Ich war eine etwas verpeilte Teenagerin und noch ein bisschen schüchtern beim Zeichnen und Zeigen meiner Arbeiten. Er hat das aber super gemacht und alle Teilnehmer:innen toll unterstützt. Vielleicht kommt das daher.
Thomas: Ich bin mir nicht so sicher, ob es unbedingt stilistisch ist, aber ein bisschen wie sich die Figuren bewegen. Ich mag Mawil total gern.
Shenja: Total lustig, man weiß ja nie, was man so aufsaugt. Ich dachte damals, das ist so cool, einfach als Comiczeichner:in zu arbeiten. Wie kann man nur so ein cooler Erwachsener werden? Dabei muss man sich einfach nur lange durchquälen ohne Geld.
Vinz: Du hast in Hamburg Illustration studiert und hast inzwischen deinen Lebensmittelpunkt in Berlin, warst aber auch immer wieder längere Zeit in Wien, unter anderem um zu arbeiten. Warum gerade Wien? Was unterscheidet Wien von Berlin und Hamburg in Bezug auf die Arbeitsatmosphäre?
Shenja: Das ist eine sehr schöne Frage. Ich finde, dass Wien sehr entschleunigend ist. Darüber schimpfen zwar viele Wiener:innen, aber ich persönlich finde das sehr angenehm. Kurze Wege, liebe Leute und insgesamt ein angenehmes Tempo, das gut zu meinem Empfinden von schneller Überforderung durch viele Reize und dem Wunsch nach langsamen Arbeiten passt. Und man kann hier gut essen.
Vinz: Du gehst auch gerne in die Bibliothek der Arbeiterkammer, um zu arbeiten.
Shenja: Ja, die ist ganz toll, kann ich nur empfehlen. Erstens, weil man schön rausschauen kann, und zweitens gibt es dort sehr gut sortierte Comics mit einer kapitalismuskritischen, antifaschistischen Kuration, die mir sehr gut gefällt. Insgesamt ist die Literatur dort sehr gut zusammengestellt, sie haben echt viele aktuelle politische und soziologische Bücher.
Thomas: Das war mir gar nicht bewusst, dass man dort so ohne weiteres hinein kann, wenn man kein Mitglied ist. Aber das finde ich super, dass sie offen für alle ist.
Shenja: Ja, das ist super zum Recherchieren. Als ich letzte Woche erkältet war, war ich ganz blockiert und konnte mir nichts ausdenken. Eine Freundin meinte, geh einfach jeden Tag hin und starr aufs Papier, und irgendwann passiert dann was. Und das hat tatsächlich funktioniert.
Thomas: Was bist du generell für ein Arbeitstyp? Bist du mehr der Deadline- oder Schubladentyp?
Shenja: Ich mache gerade viele unterschiedliche Sachen. Ich habe angefangen, nebenbei Puppen zu bauen, kleine Glasfiguren zu machen und dann auch noch zu töpfern. Dann bekomme ich aber wieder Stress. Ich glaube, ich bin ein verfranster Arbeitstyp.
Vinz: Du machst auch Nailart.
Shenja: Ja, und ich tätowiere, weil das müssen alle Hipster jetzt machen.
Vinz: Apropos Hipster: Für deine Lesung nächste Woche, 27.02.2024 im MQ Raum D, hast du eine Zeichnung gemacht, in der zwei deiner Figuren, die Neuköllner Faulibär und Hasiboy, im Schwedenespresso Pläne zur Gentrifizierung Wiens schmieden. Ich habe mich gefragt, ob die beiden gut hier in den Siebten passen würden. Aber da ist es dann wahrscheinlich doch ein bisschen zu bürgerlich schick im Vergleich zu Neukölln?
Shenja: Ich glaube, die beiden würden eher in der Gegend um den Yppenplatz wohnen, in einer Dachgeschosswohnung.
Vinz: Ratti findet man wahrscheinlich eher im EKH in Favoriten.
Shenja: Absolut! Sie wäre wahrscheinlich immer in der ersten Reihe des berühmten Twerking-Kurses vorzufinden.
Vinz: Faulibär ist primär ein Webcomic. Was reizt dich an dieser Form des Comics?
Shenja: Das Schöne daran ist, dass es keine Deadline gibt und ich machen kann, was ich will. Am Anfang dachte ich, es gibt jetzt einmal die Woche einen neuen Faulibär oder eine Episode pro Monat. Aber dann kommt das Leben dazwischen. Dann habe ich auch mal keine Ideen und manchmal ganz viele. Das finde ich angenehm, so frei zu arbeiten, ganz ohne Termine. Und ich mag es, dass andere Personen es anschauen und in den Kommentaren mit mir über die Geschichte interagieren. Dass ich mich nicht an einen Verlagsturnus halten muss und es einfach meins ist. Und ich kann ganz schnell reagieren, wenn etwas Aktuelles passiert.
Thomas: Machst du das alles analog? Das ist ja analog gezeichnet für ein digitales Medium.
Shenja: Es ist tatsächlich sehr aufwendig. Aber es tut mir total gut, ich stecke da gerne Arbeit rein. Ich bin dabei frei von Erwartungen, die ich sonst an mich habe und von dem, was ich auf der Uni gelernt habe. Faulibär fing eigentlich an als eine Art Freizeitprojekt. Davor habe ich viel düsterere Comics gezeichnet weil ich dachte, ich muss beweisen, dass ich eine ernsthafte Künstlerin bin, die etwas durchziehen kann. Wenn ich ein 30-seitiges Comic erzählen muss, ist es bei mir oft so, dass mir dabei der Spaß vergeht. Und bei Faulibär hat mir das Zeichnen wieder Spaß gemacht.
Vinz: Du machst auch einen Comicstrip für das feministische Wiener an.schläge Magazin. Wie kam es dazu und wie bist du da rangegangen?
Shenja: Die haben mich einfach gefragt, was mich freut. Ich habe die an.schläge selbst auch gerne gelesen, immer wenn ich in Wien war. Das Format Comicstrip interessiert mich sehr, da ich mit den Peanuts aufgewachsen und zum Beispiel auch super gerne Krazy Kat gelesen habe. Da geht es oft um die ähnlichen, repetitive Geschichten. Bei Charlie Brown geht es ständig um seine depressiven und fatalistischen Gefühle und bei Krazy Kat immer um die unerwiderte Liebe der Katze zur Maus. Am Ende kriegt die Katze den Ziegelstein auf den Kopf. Und trotzdem ist es immer wieder anders erzählt und hat etwas sehr Existenzielles. Es gibt immer wieder neue Facetten, die es spannend machen.
Vinz: Wie geht es dir mit dem Comic, den du für die KABINETT comic passage machst?
Shenja: Gut geht es mir damit. Ich hatte am Anfang das Gefühl, dass es vielleicht nicht klappt. Das gehört immer dazu, dass man ein bisschen Angst hat vor einem neuen Projekt. Auch wegen dem fixen Format und der fixen Seitenzahl. Aber ich habe viel recherchiert, war oft in der Arbeiterkammerbibliothek, habe mir dort Notizen gemacht, und vor ein paar Tagen hatte ich die Möglichkeit, das Ganze als Storyboard besser zusammenzuziehen. Das beruhigt mich und ich habe schon richtig Lust aufs Zeichnen!
Vinz und Thomas: Wir freuen uns schon darauf!