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Mood Swings

Interview

Mood Swings

Kuratorin Sabine Winkler spricht im Interview mit Elisabeth Hajek, künstlerische Leitung frei_raum Q21 exhibition space, über die Ausstellung “Mood Swings – Über Stimmungspolitiken, Sentiment Data, Market Sentiments und andere Sentiment Agencies“, die Stellenwert und Wirkungsradius sowie Einsatzbereiche, Funktionen und Überschneidungen von Sentiments in Politik, Wirtschaft, Technologie, Kunst und Medien untersucht.

Kuratorin Sabine Winkler spricht im Interview mit Elisabeth Hajek, künstlerische Leitung frei_raum Q21 exhibition space, über die Ausstellung “Mood Swings – Über Stimmungspolitiken, Sentiment Data, Market Sentiments und andere Sentiment Agencies“, die Stellenwert und Wirkungsradius sowie Einsatzbereiche, Funktionen und Überschneidungen von Sentiments in Politik, Wirtschaft, Technologie, Kunst und Medien untersucht.

Elisabeth Hajek: Sabine, es freut mich sehr, dass wir nach der Schau „As Rights Go By“, die Du ja vor einem Jahr für den frei_raum Q21 kuratiert hast, nun eine weitere Ausstellung nämlich „Mood Swings“ gemeinsam realisieren konnten. Nochmals herzlichen Dank für die bereichernde Zusammenarbeit mit Dir.
Stimmungen und ihre Schwankungen erfahren im Moment ja vermehrt Aufmerksamkeit. Um welche Stimmungen geht es in Deiner Ausstellung „Mood Swings“?

Sabine Winkler: Die Ausstellung erforscht einerseits Einflussbereiche und Mechanismen von Stimmungen in Politik, Wirtschaft, Medien, Kunst und Technologie und befasst sich andererseits mit der Frage, wie sich Stimmungen in diesen Bereichen zueinander verhalten und auswirken. Soziale Medienkanäle fungieren oftmals als Verstärker davon, wie über Stimmungen Wahl-, Investitions- und Kaufverhalten beeinflusst wird.

Es stellt sich die Frage, was es bedeutet, wenn Stimmungen und nicht Fakten mehr und mehr unsere Handlungsweisen,  Entscheidungen und Sichtweisen bestimmen. Es wird an vielen Fronten um die Definitionsmacht zwischen Wirklichkeit und Fiktion gekämpft. Stimmungen spielen nicht nur in der Politik und  in den Medien, sondern auch an den Märkten eine große Rolle. So halten Blasenstimmungen das System am Laufen, Finanzmärkte wiederum reagieren auf Stimmungsschwankungen. Gleichzeitig sind Stimmungsdaten begehrtes Objekt der Analyse. So werden zum Beispiel Emotionsdaten für die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen verwendet, Emotionsanalysen werden eingesetzt, um Gefühle zu kontrollieren, zuzuordnen, zu optimieren,  zu interpretieren und zu verwerten. Kurz: Emotionen werden quantifiziert und simuliert, um emotionale Reaktionen für ökonomische Zwecke sowie für Überwachungsagenden auszuwerten, aber auch um Maschinen in der Interaktion mit den Menschen empathischer erscheinen zu lassen.

Sabine Winkler, Foto: Eva Ellersdorfer-Meissnerová

Wenn wir mit Stimmungspolitiken beginnen: Wie werden in der Politik Affekte eingesetzt, um damit Stimmungen zu generieren?

Eng mit der Stimmungsfrage verbunden sind die ideologischen Machtkämpfe zwischen Rechtspopulismus und Neoliberalismus, die sich zurzeit im Streit um die Definitionshoheit zwischen Zensur und Propaganda intensivieren. Neoliberalismus und Rechtspopulismus stehen in einem vielfältigen und widersprüchlichen Verhältnis zueinander: Der Rechtspopulismus kann als eine Reaktion auf den Neoliberalismus, gleichzeitig aber auch in einigen Bereichen als eine radikalisierte Version davon gesehen werden. Es gibt also zur gleichen Zeit Allianz und Opposition. Einig ist man sich zum Beispiel in der Ablehnung des Sozialstaates,  in der Privatisierung von Staatseigentum sowie in der Senkung der Steuern für Reiche. Die oppositionellen Positionierungen hingegen basieren auf Nationalismus, traditionellen Geschlechterrollen, autoritären Gesellschaftsmodellen,  usw.

Im Moment kommt man ja an Donald Trump schwer vorbei….

Trump inszeniert sich beispielsweise als Millionär mit Unterhaltungswert, der so tut als würde er die Interessen der Arbeiter vertreten, damit diese Widerstand nicht selbst organisieren, wie Slavoj Žižek in einem Interview in der NZZ anmerkte. Ja, Trumps Inszenierung und Verbreitung von emotionalem Aufregungszustand, sowie der Eindruck des Unreflektierten und Vulgärem führen dazu, dass die Meldungen als direkter, authentischer wahrgenommen werden, ungefilterter als in etablierten Medien. Damit verbunden ist die Vorstellung von Emotionen als ungeschminkte Information, wohingegen es aber gerade um die Darstellung von Emotionen im Sinne von Kampagnen geht.

Generelle Gemeinsamkeiten mit anderen autoritär auftretenden Politikern, wie zum Beispiel  Erdoğan, Putin, oder den Parteiobmännern  sowie  -frauen rechter europäischer Parteien gibt es ebenso wie Unterscheidungen.

Ja, die Selbstinszenierungen als Opfer, Rächer, Erlöser, die Inszenierung als Vertreter der Interessen von ArbeitnehmerInnen, die Eventisierung von Politik, der Nationalismus usw.

Gerade bei den immer radikaler werdenden Wahlkampagnen hat man ja den Eindruck, dass Wahlkämpfe immer weniger über Inhalte als über emotional aufgeladene Slogans ausgetragen werden. Wieso erreicht man viele Menschen auf diese Weise?

Vertrauensverlust in die Eliten spielt dabei sicher eine Rolle, aber auch die immer komplexer werdenden wirtschaftspolitische und geopolitische Situation vor dem Hintergrund des Digitalkapitalismus. Soziale Unsicherheit, resultierend aus 30 Jahren neoliberaler Politik sowie Identitätsverlust sozial­demokratischer Parteien kommen hinzu. Wirklichkeit und Fiktion scheinen schwerer unterscheidbar und treten gleichzeitig zunehmend in einen Wettstreit. Um in Wahlkampagnen glaubwürdig zu erscheinen, wird Emotion als Form von Aufrichtigkeit inszeniert, wie man das ja auch schon bei den Reality- oder Find-a-Superstar-Shows beobachten konnte.

Zu beobachten ist auch ein immer härter ausgetragener Kampf um Sympathien. Dafür werden Gefühle inszeniert, Emotionen performt, Empathie simuliert. Geht es vor allem darum Reaktionen über Emotionen auszulösen?

Georg Seeßlen sagte in einem Interview auf Telepolis: „Wirklich ist, was ‘gut ankommt’ und was eine Reaktion auslösen kann“. Damit verbundenen ist aber auch die Angst vor Stimmungsschwankungen, die Sympathie-, Aufmerksamkeits- und Machtverlust bewirken könnte, was zur permanenten virtuellen Aktivität verführt, damit die Leerstelle nicht sichtbar wird. Je mehr man sich virtuell bewegt, desto größer kann die Sehnsucht nach der Realität werden, danach sich real zu fühlen oder desto größer kann die Angst vor der Realität werden. Wenn der Subjektstatus über den UserInnenstatus erfolgt, werden aus den zugewiesenen Subjektpositionen zugewiesene UserInnenpositionen, die als die eigenen verkannt werden.

Emotionen werden also als Information mit einem höheren Wahrheitsgehalt gesehen, Bilder sowie Handlungen mit einem emotionalen Gehalt als authentischer wahrgenommen, paradoxerweise?

Wenn Gefühle als authentisch codiert sind, auch wenn sie noch so berechnend sind, wird damit die Unterscheidung zwischen der Inszenierung von Gefühlen und Gefühlen als Basiselement sozialer Verbindungen vernachlässigt oder die Vorstellung davon verändert. Der operative Einsatz von Gefühlen als Präsentationsform/Kommunikationsform findet in den Social Media vielerlei Plattformen. Gleichzeitig werden durch Technologien emotionale Beziehungs- und Lebensstrukturen verändert.

Für das Verhältnis von Emotion und Abstraktion (Algorithmen) interessiert sich in der Ausstellung der Künstler Francis Hunger. Er thematisiert in seiner Videoarbeit Deep Love Algorithm die Geschichte und Evolution von Datenbanken und deren Auswirkungen sowohl auf funktionaler als auch emotionaler Ebene und fragt nach dem Einfluss, den Datenbanken auf allgemeine Stimmungslagen nehmen bzw. wie sie Stimmungswechsel befördern oder beschleunigen.

Deep Love Algorithm © Francis Hunger

Über Social Media Kanäle werden Stimmungen verbreitet, deren Reichweiten gesteigert, und gleichzeitig werden Stimmungen in den sozialen Netzwerken analysiert und als Stimmungsbarometer verwendet. Werden Manipulationsbewegungen dadurch automatisiert?

Inszenierung und Simulation von Gefühlen sind performative Praktiken die zu manipulativen Zwecken eingesetzt werden können, der Grad des Aufregungszustandes sagt vor allem etwas über die  Persönlichkeitsstruktur und die Verbreitungsintention des Sendersubjektes etwas aus. Über manipulative Stimmungen macht man sich zu Nutze, dass Quantität, also beispielsweise die Anzahl der Views, Wert suggerieren, obwohl bekannter Weise die Klicks zugekauft oder von Bots manipuliert sein können. Aus dem Verbreitungszwang entstehen Eigendynamiken, die Skandalmeldungen und Hysterie befördern.

Damit wären wir bei der Diskussion um Fake News….

Auch Fakten werden ja mitunter in ideologische Stimmungen eingebettet, sind schwer nachprüfbar oder auch spekulativ, werden zur Untermauerung unterschiedlicher Narrative und als Rechtfertigung von Handlungen bemüht etc. Das Problem ist nach welchen Kriterien und vor allem wer darüber entscheidet, was wahr und was falsch ist. Agenturen, die von Social Media Konzernen damit beauftragt werden, sind nicht objektiv, wenn man beispielsweise an die Sperrung Erdoğan kritischer Kommentare denkt.

Mit der Frage, welchen Einfluss Technologie auf die Wahrnehmung und Darstellung von Emotionen nehmen kann beschäftigen sich einige der Arbeiten in deiner Ausstellung.

Emotionale Daten sind beispielsweise bei der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen relevant. Ohne unser Wissen werden alle möglichen Daten gesammelt, um beispielsweise unser Kauf- oder -Wahlverhalten zu manipulieren. Oder sie werden für Klassifizierungszwecke verwendet, bei Vorstellungsgesprächen, im Gesundheitswesen, usw. oder im Überwachungskontext zu Kontrollzwecken.

Zu welchem Zweck werden Emotionserkennungsprogramme eingesetzt?

Emotionserkennungssoftware wird beispielsweise bei Bewerbungsgesprächen eingesetzt, um zu erkennen, ob jemand aufrichtig ist oder nicht. Gleichzeitig verwenden Firmen dann genau diese Software, um ihre Angestellten zu trainieren aufrichtig zu erscheinen. Emotionserkennungsprogramme geben vor, dass das, was sich im Inneren an Befindlichkeiten abspielt, eins zu eins am Gesichtsausdruck ablesen lässt.

Damit beschäftigt sich ja auch der Künstler Ruben van de Ven  in seiner installativen Arbeit Emotion Hero.

Ruben van de Ven untersucht Funktionsweisen von Emotionserkennungsprogrammen: diese werden sowohl zur „objektiven“ Vermessung und Bewertung von Emotionen verwendet als auch als technologisches Hilfsmittel eingesetzt, um optimierte Darstellungsweisen von Emotionen zu trainieren. Die Installation besteht aus zwei Teilen: einem Videospiel in dem es darum geht, jene als ideal gesetzten Emotionsausdrücke zu trainieren, um die Darstellung von Emotionen zu optimieren und einer Projektionswand, die Datenerfassung und -verarbeitung von Emotionen, wie sie von Konzernen betrieben wird, widerspiegelt. Auf der Projektionswand werden über das Videospiel gesammelte Bewertungsdaten von Gesichtsausdrücken in einem Ordnungsraster systematisiert zugeordnet, gezeigt.

Emotion Hero © Ruben van de Ven

Was ist der Unterschied zwischen der Darstellung und der Simulation von Emotionen?

Bei der Darstellung von Emotionen denkt man erstmals an Film und Theater oder zum Beispiel an Selfies. Der Unterschied zur Simulation in Bezug auf die Technik ist, dass hier Emotionen simuliert werden, die auf keinen Erfahrungen basieren, also nicht gefühlt werden. Für die Entwicklung gefühlvoll wirkenden/agierenden Maschinen sind Emotionsdaten gefragt, damit Computer Emotionen einerseits richtig erkennen und andererseits simulieren können (Affective Computing).

Oder mit Emotionen Handel betreiben, wie das Scott Kildall in seiner Arbeit EquityBot thematisiert.

Scott Kildalls EquityBot simuliert einen Aktienhandelsalgorithmus, der in Emotionen wie Wut, Ekel, Freude und Erstaunen investiert. EquityBot  wertet während der Börsenöffnungszeiten die auf Twitter verbreiteten Stimmungslagen aus. EquityBot verbindet diese Emotionen mit tatsächlichen Aktien und investiert über ein simuliertes Broker-Konto. EquityBot stellt ein automatisiertes System dar, das zeigt, welchen Einfluss Emotionen auf Handel und Kursverläufe haben, aber auch wie Emotionen zum Wertfaktor und zum Handelsobjekt werden.

EquityBot © Scott Kildall

Damit kommen wir zu Einflussbereichen und Auswirkungen von Emotionen und Stimmungen an den Märkten. Stimmungen und Stimmungsschwankungen sind hier gleichzeitig begehrt und gefürchtet.

Ja genau. Über Spekulation und Risikobereitschaft werden aktiv Stimmungen manipuliert, andererseits reagieren die Märkte auf Stimmungen. So bezeichnet der Begriff market sentiments, den Barbara Musil als Titel ihrer Videoarbeit wählte, die Stimmungen an den Märkten, ob man investieren soll oder nicht. Barbara Musils bewegtes Stimmungsbild aus Zeiten des estnischen Immobilienbooms stellt der Jubelstimmung von Investoren und Spekulanten Emotionen vom anderen Ende der Gefühlsskala entgegen: Melancholie, Traurigkeit und Sentimentalität vermittelt die animierte Collage aus Katasterplänen und Orthofotos zum Verkauf angebotener Landflächen. Dadurch werden abstrakte Bewegungsflüsse der Aneignung und des Verkaufs als sich ständig veränderndes Muster grafisch sichtbar gemacht und kollektives Stimmungsverhalten/Herdenverhalten (animal spirits) durch poetische Kontrapunktierung aufgebrochen.

market sentiments © Barbara Musil

Sowohl das Mitschwimmen auf Stimmungswellen als auch das sich dagegen Positionieren kann an den Märkten zu Profit oder Verlust führen.

Micah Hesse beschäftigt sich in seiner Videoarbeit Lonely without a company mit der Metapher der Blase im finanzökonomischen Kontext. Blasenstimmungen bilden die Basis von ökonomischen Agenden und Finanzmarktaktivitäten, die die Märkte am Laufen halten. Er setzt die mit Gegenständen, Materialität oder Geschichten verbunden Stimmungen und Rhetoriken in Szene, um Funktionsweisen von leeren Zeichen/Sprachblasen im ökonomischen Kontext sichtbar zu machen.

Lonely without a company © Micah Hesse

Die Frage nach den sich verändernden Formen sozialer Beziehungen, deren Organisationsformen, sowie die Sehnsucht nach Beziehungs-Qualität statt Quantität wird uns im Kontext gesellschaftspolitischer und technologischer Entwicklungen zunehmend beschäftigen. Über Stimmungen werden Narrative vermittelt, Bewegungen initiiert, damit verbunden sind Möglichkeiten und Gefahren mit hohem Schwankungspotenzial.

Vielen Dank.

 

Ausstellung: 31.03. bis 28.05.2017, Di-So 13-20h, Eintritt frei
Ort: frei_raum Q21 exhibition space, MuseumsQuartier Wien, Museumsplatz 1, 1070 Wien

Teilnehmende KünstlerInnen:
Antoine Catala (FRA)*, Xavier Cha (USA), Florian Göttke (GER/NLD), Femke Herregraven (NLD), Hertog Nadler (NLD/ISR)*, Micah Hesse (USA)*, Francis Hunger (GER), Scott Kildall (USA), Barbora Kleinhamplová (CZE), Tom Molloy (IRL), Barbara Musil (AUT), Bego M. Santiago (ESP)*, Ruben van de Ven (NLD)*, Christina Werner (AUT)
*Artist-in-Residence des Q21/MQ

www.q21.at/frei-raum 
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