Interview mit MQ Artist-in-Residence Sama Kashef
Die Künstlerin Sama Kashef ist als Artist-in-Residence im August und September in Kooperation mit paraflows zu Gast im MuseumsQuartier. Im Gespräch mit Günther Friesinger (paraflows) erzählt sie, wie sehr sie die Residency bereichert hat und gibt Einblicke in ihre Projekte, die sie währenddessen realisiert hat.
Für Künstler:innen sind Artist-in-Residence Programme eine wichtige Möglichkeit, neue Orte und Kulturen kennenzulernen, vor allem aber auch Inspiration für die eigene künstlerische Arbeit zu bekommen. Wie waren für dich die letzten zwei Monate in Wien im MQ?
Die letzten zwei Monate in Wien waren eine Gelegenheit, verschiedene Kulturen kennenzulernen und verschiedene Hintergrundgeschichten zu hören, von denen einige wirklich inspirierend waren.
Du lebst in Kairo, einer Stadt, die wahrscheinlich dreimal so viele Einwohner wie Österreich hat. Wie war es, von einer solchen Millionenstadt nach Wien zu kommen und hier zu leben?
Wien und Kairo haben in fast allen Belangen sehr wenig gemeinsam. In den ersten Tagen war es ein Kulturschock für mich, ich musste mich erst eingewöhnen gewöhnen, was aber nicht schlimm ist, denn aus solchen Herausforderungen entstehen neue Erfahrungen und persönliches Wachstum. Mit Leuten zu reden, die mit denselben Zeichentrickfilmen, aber anderen Nachrichten im Fernsehen aufgewachsen sind, war irgendwann frustrierend. Viele hatten keine Ahnung von meiner Kultur oder wie sie wirklich ist, nur das klischeehafte Hollywoodbild von Menschen, die in der Wüste leben und auf Kamelen reiten vor Augen. Einige meinten sogar, dass ich ins Ausland gehen muss weil sie dachten, dass es in Ägypten keine Ausbildungsmöglichkeiten für Künstler:innen gibt, was natürlich nicht stimmt.
Sama, welchen Projekten hast du deine Zeit in Wien gewidmet?
Einer Sammlung von Fotografien namens Caught und einem Stummfilm namens Replay.
In deinem Fotoprojekt Caught, das wir im UZ LAB and KOMM.ST LAB ausstellen, beschäftigst du dich mit Alltagsmotiven. Was fasziniert dich daran?
Meine fotografische Arbeit, in der ich die Straßen von Kairo und ihre Menschen/Katzen einfange, hat mir immer viel Freude bereitet, da meine Heimat verschiedene Arten von Architektur und Kunst an einem Ort vereint. Die Stadt hat schon viele Nationalitäten beherbergt, die auf ihre Art und Weise spuren hinterlassen haben. Alltägliche Momente sind für mich etwas Besonderes, weil sie in jeder Sekunde in anderer Form und an einem anderen Ort wieder auftauchen. Wenn ich also einen Mann in einer Jaliba in der Altstadt von Kairo fotografiere, gibt es höchstwahrscheinlich Tausende oder sogar Millionen von Menschen, die vor ihm in der gleichen traditionellen Kleidung, aber mit einer anderen Mission für ihren Tag, denselben Weg gegangen sind.
Du hast auch einen ArtVideoLoop namens Replay für die MQ Schauräume erstellt. Welche Geschichte erzählt dieser Kurzfilm?
Replay ist ein Stummfilm, der die Tatsache hervorhebt, dass jeder an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, in einer anderen Kultur, Religion und in einem anderen Jahr geboren wurde. Wir alle durchleben dieselben Gefühle und Erfahrungen mit einem anderen Szenario, um sie zu unseren eigenen zu machen, aber wir durchleben dieselben Gefühle und Lebensabschnitte von dem Moment an, in dem wir geboren werden, bis wir sterben. Nicht nur das, wir kommen alle vom selben Ort und sterben und ruhen auch am selben Ort. Es ist einfach immer wieder derselbe Prozess, daher der Name "Replay".
Du arbeitest als Fotografin, Filmemacherin, Medienkünstlerin und bist sehr aktiv in den sozialen Medien (@sama__kashef). Was inspiriert dich in deinem künstlerischen Schaffen?
Meine Inspiration für meine Arbeit ist das Bedürfnis, etwas zu tun, das ich kontrollieren kann, das aber dennoch ein Überraschungsmoment enthält. Ich kann bestimmen, an welchen Ort ich gehe aber ich kann nicht den perfekten Moment planen, um ein Objekt oder eine Person in Bewegung einzufangen. Ich könnte mich also für den Sinai als Ort entscheiden und das Thema wird wahrscheinlich Beduinen oder etwas mit dem Meer zu tun haben aber ich kann das Thema, das ich einfange, nicht kontrollieren, es bleibt eine Überraschung.
Wir waren beide auf der Ars Electronica in Linz. Wo siehst du die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Medienkunstszenen in Ägypten und Österreich?
Österreich ist in der Medienkunst viel weiter als Ägypten, es gibt viele verschiedene Einrichtungen und Möglichkeiten für Künstler:innen. Die meisten Menschen, die in Ägypten im künstlerischen Bereich tätig sind, sind nicht auf dem neuesten Stand. Ihnen ist nicht bewusst, wieviel gerade in der Medienkunst passiert und wie sehr sie sich weiterentwickelt hat. Einige haben auch Angst vor Veränderung und trauen sich auch deshalb nicht einen Schritt nach vorne zu machen. Ich denke es wir noch dauern, bis Ägypten einige große Veränderungen vornimmt. Es ist wirklich eine Schande, dass die Heimat vieler historischer Kunststile und tausende von Jahren erstaunlicher Kunstwerke jetzt kämpft, mit dem Fortschritt anderer Länder mitzuhalten und hinten her ist.
Am Ende eines AiR Programms kommt immer die Frage auf: Wie hat dich dein Aufenthalt in Wien im MQ nachhaltig künstlerisch inspiriert?
Was mir immer wieder in den Sinn kam und kommt ist "die Norm". Sie ist wirklich eine subjektive Sache, die von so vielen Faktoren abhängt, und es ist für mich äußerst faszinierend, in Zukunft mit ihr in meiner Arbeit herumzuspielen. Während meines Aufenhalts ist es immer offensichtlicher geworden, dass Österreich und Ägypten unterschiedliche "Normen" haben und ich würde diese Tatsache gerne auch in meiner künstlerischen Arbeit umsetzen.
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Das Interview wurde im September 2023 von Günther Friesinger geführt.
Günther Friesinger ist Philosoph, freier Medienmacher, Künstler und Kurator.
Seit 2006 ist er Vorsitzender des Quartiers für Digitale Kultur das im MuseumsQuartier angesiedelt ist und Leiter des paraflows - Festival for Digital Art and Culture in Wien. Außerdem ist er Mitglied der Kunst- und Theoriegruppe monochrom, die ebenfalls in den MQ Schauräumen beheimatet sind.
Fotos: © Sama Kashef