Performance Now
Helmut Ploebst zur VIENNA ART WEEK 2018.
Das Belvedere lädt Donna Huanca zu ihrer ersten österreichischen Solopräsentation. Für das Dom Museum Wien wirkt der Performancekünstler Hannes Priesch Wunder. In die Ausstellung „#fuckreality“ des Kunstraum Niederoesterreich bringt Martin Kusch „The Swarming Gallery“. Der frei_raum Q21 stellt einen kuratorischen Roboter vor. Und beim Line-up im MAK Wien diskutieren RoseLee Goldberg und Felicitas Thun-Hohenstein über die Performancekunst von heute.
Die Fragilität und Verletzlichkeit des Körpers, die Faszinationen der virtuellen Realität, die autoritären Implikationen der künstlichen Intelligenz und diskursive Reflexionen spannen den performancekünstlerischen Bogen durch die VIENNA ART WEEK 2018.
Stella Rollig lädt die 1980 geborene Malerin, Installations- und Performancekünstlerin Donna Huanca in die Barockräume des Unteren Belvedere ein. Die bolivianisch-amerikanische Ex-Musikerin nimmt bei ihrem ersten österreichischen Einzelauftritt nicht nur auf die Architektur des Schlosses Bezug, sondern auch auf die parallel laufende Ausstellung „Egon Schiele. Wege einer Sammlung“.
Während ihrer performativen Ausstellungen, wie etwa „Scar Cymbals“ (2016) in der Londoner Zabludowicz Collection, vollziehen bemalte und durch verschiedene Applikationen modifizierte Gestalten junger Frauen und Männer ritualhafte Meditationen. In ihrer Ruhe oder emphatischen Gestik sind diese fragilen, aber doch emanzipierten Körper für Huanca „lebende Kunstwerke“. Fasziniert von der Präsenz ihrer Live-Models, zeigt sich die Künstlerin zwar überzeugt davon, „dass die Kunst tot ist“. Aber letztlich sagt sie doch: „Die Malerei treibt mich an.“
Huanca nutzt Stoffe, Pigmente, Latex, Glas und diverse Objekte, auch solche, die mit Bondage in Verbindung stehen. Als Behausung des Körpers und gewissermaßen zu seinem Schutz dienen Heilung symbolisierende Materialien wie Gelbwurz, Ton oder Kaffee. Und transparente Elemente haben die Funktion, eine „trügerische Absicherung“ des Körpers vorzuführen.
Huancas von Klangebenen durchzogene Installationen unterstreichen ihre enge Beziehung zur Musik, die für sie eine Schule der „Zusammenarbeit und der Improvisation“ war. Anfang der Nullerjahre trat sie als Schlagzeugerin unter anderem der Indie-Rock-Band The Kants auf, bevor sie unter dem Namen Rua Minx Soundprojekte realisierte. Erst durch die Musik, sagt Donna Huanca, sei sie zur bildenden Kunst gekommen.
Der fragile Körper in seiner Verletzlichkeit wird auch von dem in New York und Graz lebenden Künstler Hannes Priesch thematisiert. Im Rahmen der Ausstellung „Zeig mir deine Wunde“ wird er sich in seiner Performance „Wund E rrr N“ mit dem pflegebedürftigen Körper auseinandersetzen. Damit trifft Priesch den wunden Punkt einer Gesellschaft, die zwar Milliarden in technologische Aufrüstung investiert, bei der Pflege etwa alter Menschen aber geradezu verbissen spart.
Zwei der performativen Setzungen im Rahmen der VIENNA ART WEEK handeln spezifische Umstände und Folgen der gegenwärtigen technologischen Revolution ab. Teil der Ausstellung „#fuckreality“ im Kunstraum Niederoesterreich ist die Intervention „The Swarming Gallery“ des österreichischen Medienkünstlers Martin Kusch. Das Publikum kann sich zusammen mit drei Performenden in der Ausstellung bewegen und diese simultan als analoge Wahrnehmung und in Erweiterung dieser Erfahrung als Augmented Reality erleben. Ein „spielerisches und leicht melancholisches“ Experiment mit den poetischen und emotionalen Verstrickungen, die eine solche Mischung der Wirklichkeiten mit sich bringt.
Und bei der Schau „Under Pressure. Über Formen des Autoritären und die Macht der Entscheidung“ im frei_raum Q21 im Museumsquartier stellt sich Skyler Lindenberg, CEO des künstlerischen Start-ups HARD CORE, vor. Dieses Kollektiv ist auf Formate spezialisiert, die hierarchische Strukturen im Bereich der Ästhetik ironisch unterlaufen – wie zum Beispiel durch den Vorschlag, Ausstellungen künftig von Robotern gestalten zu lassen, um damit den Selektionsprozess zu demokratisieren. Lindenberg wird den 2011 von HARD CORE entwickelten kuratorischen Roboter Asahi 4.0 präsentieren.
Wie sind die Entwicklungen der westlichen Performancekunst heute einzuschätzen? In diese Fragestellung dringen die New Yorker Kunsthistorikerin RoseLee Goldberg und die österreichische Performancespezialistin Felicitas Thun-Hohenstein ein, die als Kuratorin der Venedig Biennale 2019 mit Renate Bertlmann das erste Mal in der Geschichte des Pavillons eine Einzelausstellung einer Künstlerin zeigen wird. Moderiert wird das Gespräch, das im Rahmen des Line-up im MAK Wien stattfindet, von Robert Punkenhofer, dem Künstlerischen Leiter der VIENNA ART WEEK.
Über Goldberg sagt Thun-Hohenstein: „Als hartnäckigste Advokatin von Live Art hat RoseLee Goldberg in ihren Publikationen und mit dem jährlichen New Yorker Festival Performa einen essenziellen Beitrag zu Wahrnehmung und Verständnis performativer Kunstformen geleistet. Ihre aus der historischen Avantgarde abgeleitete und durch die amerikanische Theoriebildung geprägte Geschichte der Performancekunst bietet seit über 50 Jahren ein Orientierungsmodell, dem europäische, transatlantische, globale und ahistorische Sichtweisen folgten.“ Im Zusammenhang mit dem Gespräch wird die Wiener Künstlerin Carola Dertnig eine Performance zeigen.
Artikel von Helmut Ploebst:
Helmut Ploebst ist u. a. Tanzkritiker der Tageszeitung Der Standard, leitet das Internetmagazin CORPUSWEB.NET und lehrt Performancetheorie am Institute of Dance Arts an der Bruckneruni/Linz.