Über Bilder ohne Bilder
Die Dramatikerin und Regisseurin Katharina Schmitt verbringt ihr Leben in Berlin und in Prag. Im September legte sie einen Stopp in Wien ein, um als Artist-in-Residence des Q21 einen Monat im MuseumsQuartier zu wohnen und zu arbeiten. Wir trafen die Künstlerin im sonnigen Vorgarten ihres Studios zu einem Gespräch.
Die Dramatikerin und Regisseurin Katharina Schmitt verbringt ihr Leben in Berlin und in Prag. Im September legte sie einen Stopp in Wien ein, um als Artist-in-Residence des Q21 einen Monat im MuseumsQuartier zu wohnen und zu arbeiten. Wir trafen die Künstlerin im sonnigen Vorgarten ihres Studios zu einem Gespräch.
Das Projekt, an dem du hier in Wien arbeitest, beschäftigt sich mit den Träumen blinder Menschen; mit der Frage, wie Träume von Menschen, die blind geboren sind und die keine visuellen Anhaltspunkte haben, aussehen. Wie kamst du dazu, dich mit dieser Thematik auseinander zu setzen?
Ich bin Theaterregisseurin und Dramatikerin; ich schreibe und inszeniere Theaterstücke. Meine Arbeit bewegt sich zwischen Theater und bildender Kunst, ich bemühe mich im Theater in der Hauptsache über Bilder zu erzählen. Seit ein paar Jahren arbeite ich manchmal auch im Bereich Hörspiel, in einem absolut nicht visuellen Medium. In dem Zusammenhang denke ich schon länger darüber nach, eine Arbeit über Träume von Menschen, die blind geboren wurden, zu machen. Mir war klar, dass ich dafür viel recherchieren müsste und im Idealfall eine Reihe von Interviews mit Blinden machen. Mit diesem Vorhaben habe ich mich im Museumsquartier beworben. Als ich die Zusage für die Residenz hatte, habe ich den Österreichischen Blindenverband kontaktiert und um Hilfe gebeten. Der Blindenverband hat einen Newsletter, wo dann eine Anzeige geschaltet wurde, die mein Vorhaben beschrieb und interessierte Blinde bat, sich bei mir zu melden. Es haben sofort viele Leute auf die Anzeige reagiert, innerhalb der ersten Stunde hatte ich bereits die ersten vier Interviewpartner. Was mich in Hinblick auf die Intimität des Themas überrascht und auch gefreut hat.
Du sagst, dich hätte dieses Thema schon länger interessiert – woher kam dieses Interesse?
Mich beschäftigt die Vorstellung von Narrativen, die ohne visuelle Inspiration entstehen. Vielleicht hat das damit zu tun, dass ich selbst in der Hauptsache in einem visuellen Medium arbeite. Es geht um die Frage, was ein Bild eigentlich ist, woraus es sich zusammensetzt. Wir sind umgeben von einer immer größer werdenden Bilderflut, einem nicht endenden Smog von visuellen Eindrücken. Wie stark sind die nicht visuellen Sinne? Können Bilder ohne Bilder entstehen? Das wäre die utopische Hoffnung. Dass das ein Ausgangspunkt sein könnte für eine andere Art des Erzählens.
Hattest du im Vorfeld eine Vorstellung davon, wie die Träume der Menschen, die du interviewst, aussehen könnten?
Ich hatte gar keine Vorstellung. Ich selbst träume, mit einigen wenigen Ausnahmen, wo es Klänge oder haptische Eindrücke gibt, in Bildern – ich hatte keine andere Phantasie. Die Beschreibungen und Geschichten der Menschen, die ich bisher interviewt habe, sind tatsächlich auch sehr unterschiedlich. Der jüngste Interviewpartner der Reihe ist 11 Jahre alt, der älteste über 70.
Die Erzählungen deiner Interviewpartner wirst du in einem Hörspiel verarbeiten.
Genau. Ich möchte, ausgehend von den Gesprächen, einen literarischen Text schreiben. Diesen Text werde ich nächstes Jahr gemeinsam mit dem tschechischen Komponisten Michal Rataj, der auch mal als Artist-in-Residence im MuseumsQuartier war, als Hörspiel umsetzen. Je nachdem wie die Ergebnisse dann aussehen, kann es sein, dass ich das Material weiter nutze für eine Inszenierung. Der erste Schritt ist jetzt der Text.
Ist es das erste Mal, dass du den Text primär für ein Hörspiel schreibst? Bisher war es ja meistens umgekehrt, also zuerst Theaterstück, dann Hörspiel.
Ja, das ist das erste Mal so.
Gibt es da einen Unterschied in deiner Arbeitsweise?
Bei Theaterstücken bin ich darauf fokussiert, visuelle Bilder zu entwickeln. Hier weiß ich von Anfang an, dass ich für ein Medium schreibe, das nur über Klang und Sprache funktioniert. Das ist ein anderes Vorgehen.
Deine Texte scheinen ganz unterschiedliche Quellen und Inspirationen zu haben. Wie findest du zu den Themen, die du bearbeitest?
Teilweise sind es, wie bei dem aktuellen Stück, theoretische Fragen, die mich beschäftigen. Die Frage nach der Entstehung und dem Verschwinden der Bilder ist ein größerer Zusammenhang, der auch mit einem anderen Projekt, an dem ich gerade arbeite, zu tun hat. Ich schreibe das Libretto für eine Oper für das Prager Nationaltheater, die ich im Frühjahr 2017 auch inszenieren werde. Die Oper dreht sich um die Frage des Verschwindens bzw. Zerstörens von Bildern und Symbolen. Es geht um eine riesige Stalin-Statue in Prag, um den Bau und die Sprengung dieser Statue in den 1950er und 60er Jahren und um die Möglichkeit von Ikonoklasmus. Also um die Frage, wie man die Symbole der Ideologien des 20. Jahrhunderts wieder los wird. Meine vorsichtige Einschätzung dazu ist, dass Sprengstoff für ihre Zerstörung nicht ausreicht. So entstehen Ideen zu Stoffen: ein Interesse, das sowieso in mir drin ist, trifft auf einen historischen Fakt. Dann kann das so umgesetzt werden.
Dein Wohnsitz teilt sich zwischen Berlin und Prag, jetzt bist du für einen Monat in Wien – worin unterscheiden sich diese Städte für dich?
Es gibt schon einen großen Unterschied zwischen Prag und Berlin. Das Tempo in den Städten unterscheidet sich, die Stimmung, die kulturellen Einflüsse. Prag hat viel mit Wien zu tun, ich merke den K.u.K. Einfluss an jeder Ecke. Von der Küche zum Benehmen der Menschen im öffentlichen Raum. Das Museumsquartier ist ein luxuriöser Ort, auch in der Tatsache, dass ich hier nicht eingebunden bin in alltägliche Produktionskontexte. Der Aufenthalt hier ist wie ein extrem konzentrierter Arbeitsurlaub.
Wie siehst du den Einfluss von neuen Medien auf das Theater?
Ich kann das so pauschal nicht beantworten. Neue Medien sind natürlich sehr gut. Es gibt Regisseure, die sie im Theater auf interessante Art und Weise im Theater nutzen. Gleichzeitig ist das Grundgerüst von Theater nicht das neue Medium, sondern das älteste Medium. Also Menschen in einem Raum, Energie in einem Raum.
Obwohl dein Hauptfokus das Theater ist, hast du in den letzten Jahren immer wieder Hörspiele gemacht. Wie stehst du zu Podcasts?
Das machen inzwischen alle Radiostationen, dass sie Teile von Hörspielen oder auch ganze Hörspiele online stellen. Teilweise hinken die rechtlichen Möglichkeiten den technischen hinterher, das ist dann für die Macher schlecht. Aber dass das an sich möglich ist, ist fein.
In Österreich hat kürzlich eine neue online Plattform gestartet, die quasi wie ein Netflix für Klassik funktioniert, also Konzerte, Opern, usw. on-demand anbietet. Damit folgen die Anbieter dem allgemeinen Trend der letzten Jahre, dass alles immer und überall verfügbar sein muss. Wo siehst du da die Zukunft des Theaters?
Das ist genau der Punkt, wo Theater als Medium interessant ist, weil es eben nicht auf der ständigen Verfügbarkeit, sondern auf der konkreten physischen Anwesenheit zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort basiert. Es ist eine einmalige, unwiederholbare Veranstaltung. Diese Einmaligkeit des Erlebnisses in diesem Raum lässt sich über Film nicht vermitteln. Eine Theaterinszenierung ist nicht als Film gedacht, sondern als kommunikativer Vorgang, der zwischen Publikum und Bühne passiert. Und der ist nicht wiederholbar, der passiert und dann ist er weg. Gespeichert nur in der Erinnerung an vergangene Lebenszeit aller Körper, die zu diesem Moment anwesend waren.
Interview: Lisa Ribar