"Alles Leben ist unfreiwillig Teil einer gigantischen Kettenreaktion."
Mit Margit Mössmer spricht Artist-in-Residence Simona Koch über OPEN CULTURE.
„Ich glaube dass alle Lebewesen aus den immer gleichen Bausteinen gebaut sind“, reagiert Simona auf mein Blättern in ihrem Buch ORGANISMS, das leinengrün auf dem Tisch liegt. „Es gibt Formen, die immer wieder auftauchen: Manche Tiere haben keine Knochen, dennoch haben sie Adern oder Haare und auf jeden Fall eine Öffnung. Alles hat eine Öffnung. Wir haben alle denselben Ursprung.“
Um diese Ursprünge zu erforschen reist Du auch mal in die Staaten. Im Sommer 2009 bist du nach Oregon gefahren um dort den größten lebenden Organismus, den man bisher gefunden hat zu erforschen (THE HUMONGOUS FUNGUS). Näherst du dich wissenschaftlichen Fragen mit künstlerischen Strategien?
Ich wollte einfach mal hinfahren, mich auf den Ort einlassen und gucken was passiert. Ohne zu viel Theorie. Mich hat dieses Wesen, das diesen Ort so dominiert, beeindruckt. Es war sehr faszinierend, aber teilweise auch echt spooky.
Wie Deine Postkartenmotive, auf denen Städte von digitalem Grünzeug überwuchert werden. Hast Du den Film I AM LEGEND gesehen?
Ne, wieso?
Muss man nicht sehen. Die Bilder haben mich nur sehr an das Setting des Films erinnert, die „verwilderte Stadt“…
Ich habe das bereits für viele Städte gemacht. In meinen Szenarien baue ich an einer Parallelwelt, in der es der Mensch schafft, gemeinsam mit der Natur zu existieren. Immer wenn ich irgendwo hinfahre, mache ich Fotos. Ich habe noch ganz viele in der digitalen Schublade. In einer Kulturinstitution in Deutschland wird eine meiner Montagen sogar umgesetzt. Die wollen das tatsächlich 1:1 begrünen. Ich arbeite an dem Projekt seit 2005. Gleichzeitig werden auch Initiativen wie Urban-Gardening tatsächlich immer präsenter und wachsen meiner Utopie entgegen.
Du bist über das paraflows Festival als Artist-in-Residence bei uns. Das Motto der heurigen paraflows lautet OPEN CULTURE. Das kann vieles sein – was ist gemeint?
Ich denke es geht um den zeitgenössischen Aspekt, die Open-Source-Bewegung, Open-Access und so weiter. Gleichzeitig zeigt beispielsweise die Installation von tat ort, dass damit noch viel mehr gemeint ist. Das Kollektiv hat Möbel vor das weisse haus gestellt und diese in Kooperation mit Arche Noah mit alten Sorten bepflanzt. Eine künstlerische Intervention, die gegen die Standardisierung von Saatgut in der EU arbeitet. Eine tolle Arbeit, denn wenn wir nichts mehr an die Natur zurück geben, verlieren wir selbst dabei. Ich weiß zum Beispiel, dass die superschönen großen Blüten, die wir heute in den Gärten haben, für Bienen und Schmetterlinge nicht mehr zugänglich sind. Die kommen mit ihren Rüsseln gar nicht rein. Das heißt, das funktionierende Kreisläufe unterbrochen werden, andere Lebewesen nicht mehr partizipieren können – und dadurch unsere eigene Lebensgrundlage verändert wird.
Ist es Zufall, dass dieser Aspekt der Natur(erhaltung) in einem Festival für digitale Kultur so einen Stellenwert bekommt?
Ich finde es logisch. Netzkultur, Kulturöffnung, Wachstum hier wie dort. Das ist alles nah beieinander.
Philosophie, Evolution, Religion. In welcher Reihenfolge haben diese Begriffe Bedeutung für Deine Arbeit?
Religion kommt an letzter Stelle! Auf jeden Fall. Evolution an erster Stelle. Philosophie ist der Kitt, der alles zusammenhält.
Kann es sein, dass Du mehr Forscherin als Künstlerin bist? Oder sind dir diese Bezeichnungen ohnehin wurscht?
Ich denke es ist erstmal egal. Irgendwie hat sich in meinem Leben einfach etwas verbunden. Das Interesse für Biologie oder Evolution ist schon etwas sehr Altes in mir, etwas, das früh angefangen hat und das ich gelernt habe mit Kunst zu verbinden. Es hat eine Weile gebraucht, früher waren meine Arbeiten technischer. Ich habe viel mit Technik und Internet herum experimentiert.
Professor Ottmar Hörl von der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg hat bei der Verleihung des Hirschman Kunstpreises 2011 über Dich gesagt: „Mit ihrer bis zur Perfektion getriebenen Bildsprache und ihren anspruchsvollen Themen zeigt Simona Koch eine beeindruckende Reife und Eigenständigkeit.“ Diese Eigenständigkeit merkt man sehr schnell, wenn man sich mit deiner Arbeit auseinandersetzt. Auch die Perfektion, da braucht man nur Deine Bücher durchblättern.…
Ich hab ja vorher auch Grafik studiert.
Aber kannst Du etwas damit anfangen, dass du eine „beeindruckende Reife“ vorweist?
Ich fühle mich selbst wohl eher „in progress“ als „gereift“. Seit einer Weile gibt es in mir diese Gewissheit meinen Weg gefunden zu haben, ein Feld in dem es so viel zu finden gibt und das so eine Tiefe hat. Das Thema ist fix, aber die Medien, mit denen ich arbeite, variieren total. Für paraflows 13 arbeite ich an einem neuen Ansatz bei dem ich Wachstumsstudien mit dreidimensionalen Objekten verbinde. Hierfür entwickle ich Pappmaschee-Skulpturen, die für handgezeichnete Animationsfilme als Projektionsfläche dienen. Der Film basiert auf dem Prinzip des Wachstums durch Teilung das durch die Handzeichnung tatsächlich vollzogen wird.
Was ist das hier für eine Darstellung?
Das ist das Modell eines universellen Stammbaums. Alles Leben ist unfreiwillig Teil einer gigantischen Kettenreaktion, die bis zum Anbeginn des Lebens zurück reicht. Ich habe versucht das grafisch darzustellen. Du bist hier unten – der aktuelle Endpunkt, dann kommen deine Eltern, Großeltern, Urgroßeltern, Ururgroßeltern … das läuft immer so weiter, hinein in dieses Gewächs aus Vorfahren. Sobald du dich fortpflanzt, wächst du in dieses Objekt hinein. In der Jetztzeit bist du sichtbar als Punkt. Je weiter du hinein wächst, desto unsichtbarer wirst du. Du bist dann Teil einer Masse, die das alles aufgebaut hat, was heute ist.
Dürfen wir noch kurz ins Wohnzimmer, zu Deinen Skulpturen?
Klar, ich zeige euch den Status Quo mit einer Testprojektion. Die eigentliche Projektion muss ich erst machen. Es ist eine sehr aufwendige Arbeit. Die Filme werden mit Knetgummi oder Bleistiftzeichnungen in Einzelbildanimationen erstellt. Bei diesem Film bewegt sich der Untergrund mit, ich glaube das bringt eine ganz gute Struktur.
Hat was von Meeresgrund.
Vielleicht leg ich die Skulpturen noch in Sand, um sie mehr zu verbinden und eine Landschaft zu kreieren. Wir werden sehen.
Simona Kochs konzeptionelle Arbeiten stellen in ihrer Ruhe und Langsamkeit einen Gegenpol zu unserer immer lauter und schneller werdenden Welt dar. Sie behandeln die Beziehung des Menschen zu sich selbst, zu seiner Umwelt und die Natur als Ganzes. Ihre Installation ist im Rahmen von paraflows – Festival für digitale Kunst und Kulturen zu sehen. Koch ist im August und September 2013 Artist-in-Residence im quartier21/MQ.
#AiR #paraflows #quartier21
Interview: Margit Mössmer
Fotos:Eva Ellersdorfer-Meissnerova bis auf Videostill THE HUMONGOUS FUNGUS und "Modell eines universellen Stammbaums" (c) Simona Koch