MOOD SWINGS – Über Stimmungspolitiken, Sentiment Data, Market Sentiments und andere Sentiment Agencies
Eröffnung
Do 30.03., 19hZeitraum
31.03. bis 28.05.2017Öffnungszeiten
Di-So 13-20hEintritt
freiPresseführung: Mi 29.03., 10h
Kuratorin: Sabine Winkler
KünstlerInnen:
Antoine Catala (FRA)*, Xavier Cha (USA), Florian Göttke (GER/NLD), Femke Herregraven (NLD), Hertog Nadler (NLD/ISR)*, Micah Hesse (USA)*, Francis Hunger (GER), Scott Kildall (USA), Barbora Kleinhamplová (CZE), Tom Molloy (IRL), Barbara Musil (AUT), Bego M. Santiago (ESP)*, Ruben van de Ven (NLD)*, Christina Werner (AUT)
*Artist-in-Residence des Q21/MQ
Nicht Fakten sondern Stimmungen bestimmen mehr und mehr Sichtweisen, Entscheidungen und Handlungsweisen. Stimmungsdaten wiederum sind begehrtes Objekt der Analyse, Emotionen werden quantifiziert und simuliert. Die Ausstellung „Mood Swings – Über Stimmungspolitiken, Sentiment Data, Market Sentiments und andere Sentiment Agencies“, kuratiert von Sabine Winkler, thematisiert Stellenwert und Wirkungsradius von Sentiments in Politik, Wirtschaft, Technologie, Medien und Kunst.
In unserer postfaktischen Zeit werden Realitäten zunehmend über Stimmungen erzeugt. „Mood Swings“ untersucht den Einflussbereich von Stimmungen vor allem im Kontext der im Moment zu beobachtenden gesellschaftspolitischen Umbrüche. Mit zunehmender Komplexität steigt die Schwierigkeit politische, finanzökonomische und technologische Prozesse sowie die ihnen inhärenten Paradoxien zu verstehen. Inszenierungen werden als authentisch wahrgenommen, Datenauswertungen als Faktum ausgelegt, finanzökonomische Interessen als politikbestimmende Notwendigkeit akzeptiert, „soziale“ Medien als sozial missverstanden.
Die Ausstellung geht der Frage nach, wie und warum Stimmungen analysiert, generiert und instrumentalisiert werden, was damit bezweckt wird, wie sich Stimmungen in Netzwerken verselbstständigen und selbst zum „Akteur“ werden können. Einerseits wird über Stimmungen Wahl-, Investitions- und Kaufverhalten beeinflusst, wobei soziale Medienkanäle oftmals als Verstärker fungieren. Andererseits werden Emotionen für Data-Mining und Affective Computing Prozesse quantifiziert, um emotionale Reaktionen für ökonomische, marketingstrategische und kriminalistische Zwecke und Überwachungsagenden auszuwerten oder um Computer/Roboter gefühlvoller zu machen.
Die künstlerischen Arbeiten befassen sich mit manipulativen Techniken ideologischer Stimmungspolitiken, beschäftigen sich mit dem emotional geführten Kampf um Definitionshoheit zwischen Realität und Fiktion, analysieren Einflussnahme und Auswirkung von Stimmungen an den Finanzmärkten oder setzen sich mit technischen Entwicklungen auseinander, die über Emotionsanalysen direkten und indirekten Einfluss auf menschliche Verhaltensweisen, Vorstellungen und gesellschaftliche Beziehungen nehmen. Vor dem Hintergrund des Revivals autoritärer Strukturen ist die Stimmungsanalyse als eine Form von Ideologiekritik zu verstehen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken.
So beschäftigt sich Christina Werner in ihrer Installation „The Boys Are Back“ mit rechten europäischen Netzwerken und deren popkultureller Medienpräsenz. Dafür analysiert sie Widersprüche, Analogien, Posen und Inszenierungen rechtspopulistischer Politiker in medialen Auftritten und untersucht Kampagnenelemente sowie Medienstrategien, durch die Stimmungen, Verlustängste und Ressentiments erzeugt werden.
Barbora Kleinhamplová inszenierte mit sechs SchauspielerInnen einen NLP Kurs, an dem geladene ManagerInnen teilnahmen, die über die Inszenierung nicht Bescheid wussten. Dabei wurden vor allem die irrationalen und esoterischen Aspekte manipulativer Techniken, die als Erfolg versprechende Business Strategien deklariert werden, vorgeführt und demontiert. Barbora Kleinhamplová erforscht Interferenzen von Rationalem und Irrationalem in Ökonomie und Kunst und untersucht die manipulative und ökonomische Wirkungsmacht in beiden Systemen.
Femke Herregraven erforscht in ihrer Arbeit „A timeframe of one second is a lifetime of trading I, II“ Bezeichnungen von Handelsalgorithmen, um High-Frequency-Trading-Prozesse als grafische Profile und Muster abzubilden. Damit verweist sie auf emotionale, kulturelle und symbolische Referenz- und Abstraktionsprozesse in Finanz und Kultur. Konkret bezieht sich Femke Herregraven auf den Flash Crash im Jahr 2010, als der Dow-Jones-Industrial-Average-Index über 1000 Punkte innerhalb weniger Minuten verlor. Dieser Crash wurde über einen betrügerischen Einsatz automatisierter Stornierungen von Kaufverträgen verursacht. Aktien-Indexe reagieren seismografisch auf Symptome der Veränderungen, Stimmungen, Bewegungen etc., damit genau aus diesen Stimmungslöchern heraus, wieder Profit generiert werden kann.
Florian Göttke beschäftigt sich in seiner Video- und Fotoarbeit mit bildpolitischen Analysen im Kontext des Syrienkrieges. Er untersucht, wie Bilder in Medien und sozialen Medien eingesetzt werden, wie über Fotografien Affekte hervorgerufen werden können, wie über Sichtbarkeit Verantwortung und Reaktionen eingefordert werden. Florian Göttke interessiert sich für das Verhältnis von Handlung und Bild im Kontext von Medien und sozialen Medien, dafür, wie Stimmungen kanalisiert werden oder wie Stimmungen über Bildpolitiken aktiviert werden.
2004 hielt sich Nir Nadler im Rahmen der European Exchange Academy (EEA) in Beelitz/Brandenburg auf, wo zu diesem Zeitpunkt ein Wahlkampf auf lokaler Ebene stattfand. Die im öffentlichen Raum platzierten Wahlplakate inspirierten ihn zu einer fiktiven Wahlkampagne, bei der er als Norbert Nadler auftrat. Chaja Hertog und Nir Nadler inszenieren Norbert als einen ideologielosen Politiker, der sich der jeweiligen Ideologie und Stimmung seiner Auftrittsumgebung anpasst und im Sinne Ernesto Laclaus »Logik der Äquivalenz «, einen »leeren Signifikanten« repräsentiert, der gerade aufgrund seiner Unbestimmtheit als Projektionsfläche für alle möglichen enttäuschten Hoffnungen funktioniert. Für die Ausstellung entwickelten Hertog Nadler die interaktive Arbeit Read My Lips, eine Art Jukebox-Politiker, der auf Knopfdruck nach der Ideologie Ihrer Wahl tanzt.
Xavier Cha erforscht Auswirkungen digitaler Bildkommunikation auf unser emotionales Empfinden und Verhalten. In einer Laborsituation zeigt sie eine Reihe von Gefühlsprobanden, auf deren Gesichter sich in schneller Abfolge emotionale Regungen wie Wut, Freude, Trauer, Manie, Ekel, Überraschung und Schock abspielen. Unklar bleiben jedoch die Auslöser der emotionalen Empfindungen. Durch den fehlenden Zusammenhang und die schnelle Abfolge der Stimmungswechsel wird es den BetrachterInnen unmöglich gemacht, sich mit den emotionalen Zuständen der DarstellerInnen zu identifizieren. Die Darstellung von Emotionen und Stimmungslagen ohne Referenz und Kontext gleicht damit Emoticons.
In seiner Arbeit „Emobot“ übertrug Antoine Catala Mimiken und die damit assoziierten Gefühle eines elfjährigen Jungen auf einen Telenoid Roboter. „Emobots" Gefühlslagen wechseln zwischen Angst, Verzweiflung, innerer Ruhe, Leere etc., er äußert Befindlichkeiten, zeigt unter anderem nicht zuordenbare Grimassen, die die glatte Oberfläche aufbrechen, ihn verletzlich und unheimlich zugleich erscheinen lassen. In Verbindung mit der Kinderstimme vermitteln zwar gerade diese Momente der Unsicherheit und Verletzlichkeit eine Art Menschlichkeit, die jedoch ins Unheimliche kippt. Wird man in Zukunft ungewollte oder heimliche Emotionen auf Emobots auslagern, die sich dann verselbstständigen oder werden diese Emotionen in einer Bad Bank ad acta gelegt? Wie wird algorithmisch erzeugte Emotionssimulation unser Empfinden von Gefühlen bzw. empathisches Verhalten verändern?
Bego M. Santiago zeigt in ihrer Video-Installation „Follow the Path“ weiß gekleidete Männer und Frauen, die einzeln oder als Paar jeder/e für sich in einer Gruppe schwimmen. Die Schwimmanordnung verändert sich von einem losen Gefüge zu einer komplexen netzwerkartigen Struktur. Bego M. Santiago interessiert sich für das Verhältnis des/der Einzelnen zur Gemeinschaft und dafür, wie es über bestimmte Auslöser zu emotionaler Ansteckung (Memtheorie) kommen kann und sich Verhaltensmuster in sozialen Netzwerken bilden. Wenn der Subjektstatus über den UserInnenstatus erfolgt, werden aus den zugewiesenen Subjektpositionen zugewiesene UserInnenpositionen, die als die eigenen verkannt werden.
Tom Molloy zeigt in seiner installativen Arbeit „PROTEST“ auf einem acht Meter langen Regal Prints ausgeschnittener Figuren aus Online Medien. Die Arbeit reflektiert den Wunsch sich in der Öffentlichkeit zu positionieren, als Akteur sichtbar zu werden, und stellt u.a. die Frage nach dem emotionalen Verhältnis von Subjekt und Gesellschaft zwischen performativer Inszenierung und sprachlicher Repräsentation.
„Mood Swings“ wird in Kooperation mit dem Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres organisiert.
#MoodSwings
Interviews zur Ausstellung
Mood Swings
Kuratorin Sabine Winkler spricht im Interview mit Elisabeth Hajek, künstlerische Leitung frei_raum Q21 exhibition space, über die Ausstellung “Mood Swings – Über Stimmungspolitiken, Sentiment Data,…