Ausläufer einer flüssigen Gesellschaft: Luise Marchand zu Gast in Wien
Die in Kooperation mit EIKON eingeladene Künstlerin Luise Marchand gastiert derzeit als eine von insgesamt acht Artists-in-Residence im MuseumsQuartier Wien. Ihr Projekt „Liquid Company", in dem die vor allem bei Start-ups beliebten neuen Beschäftigungsformen verhandelt werden, ist noch bis 25.10.2024 im EIKON Schauraum zu sehen. Ein Gespräch von Nela Eggenberger (EIKON) mit der Künstlerin.
Luise, in deinen Werken geht es um die Arbeitsbedingungen der modernen Leistungsgesellschaft. Was hat dein Interesse an diesem Thema geweckt, gab es eine Initialzündung für „Liquid Company"?
Der Ursprung ist familiär geprägt. In meiner Familie, die schon seit vielen Generationen selbstständig arbeitet, spielt Arbeit eine sehr wichtige Rolle. Schon als Kind arbeitete ich im elterlichen Betrieb mit und wuchs damit auf, dass die Arbeit über familiäre Angelegenheiten oder die Gesundheit gestellt wurde. Diese Haltung ist sicherlich auch durch die ostsozialistische Prägung meiner Familie bedingt, wo Arbeit nicht nur eine wirtschaftliche Notwendigkeit war, sondern auch eine soziale Schlüsselstellung innerhalb des ostdeutschen Gesellschaftssystems hatte. In der DDR war Arbeit nicht nur Mittel zum Zweck, sondern sie definierte den gesellschaftlichen Status, die Identität und das Zugehörigkeitsgefühl. In meiner künstlerischen Praxis reflektiere ich nicht nur die individuelle, sondern auch die gesellschaftliche Dimension von Arbeit in der heutigen Leistungsgesellschaft.
Mit„Liquid Company" thematisierst du eine neue Art von Selbstständigkeit. Wie sieht diese aus und welche Rolle spielt die eigene Selbstvermarktung dabei?
Ganz im Sinne der Plattformökonomie bietet man seine Arbeit auf Online-Plattformen an und wird tatsächlich nur für seinen Auftritt, seine geleistete Arbeit bezahlt. Daher die Bezeichnung „Gig-Worker“. Die dahinterstehenden Apps dienen meist als Arbeitsvermittler, statt als Arbeitgeber. Somit werden Festanstellungen umgangen, es gibt dadurch keine Kollegen:innen, sondern nur potenzielle Konkurrenz, es müssen keine Sozialleistungen wie Krankenversicherung, Rentenfonds oder Arbeitslosengeld gezahlt werden. EU-weit betrifft das 43 Millionen Gig-Worker.
Auf manchen Plattformen, die Dienstleistungen wie Grafikdesign, Care Arbeit, Handwerksarbeiten oder Beratung anbieten, spielt die Selbstvermarktung eine große Rolle. Bei den Lieferdiensten, um die es in meiner aktuellen Ausstellung im EIKON Schauraum in den MQ Schauräumen geht, ist das weniger der Fall. Deren großes Problem liegt darin, dass den sogenannten „Ridern“ ein Kollektivvertrag in Aussicht gestellt wird, der aber meist nicht zustande kommt. Da meist marginalisierte Gruppen ohne Staatsbürgerschaft als Rider arbeiten, bedeutet das eine gewisse Abhängigkeit und ein großes Risiko. Als freie Dienstnehmer:innen erhalten sie weder Mindestlohn – die Bezahlung erfolgt pro Bestellung – noch Krankengeld. Diese Arbeitsbedingungen sind ein Nährboden für prekäre Lebenssituationen.
Besonders finde ich bei dir, dass du den von dir verhandelten Themen leibhaftig nachspürst – so warst du vor wenigen Tagen selbst als Rider in Wien unterwegs. Wie war deine Schicht?
Organisiert wurde das im Rahmen einer Aktion der Wienwoche, einem Festival für Art und Aktivismus, bei dem es unter anderem auch um Arbeitsschutz geht. „We wish you a safe ride" war als Performance angemeldet, bei der Personen Rider vertreten haben, sodass diese währenddessen an Schulungen über Arbeitsrecht bzw. Arbeitsbedingungen, die auf Arabisch, Farsi, Deutsch und Englisch angeboten wurden, teilnehmen konnten. Ich war also als Vertretung eines Riders unterwegs und habe im Zuge dessen auch an einer Onboarding-Session, wie man Einschulungen bzw. Eingliederungsprozesse neuerdings nennt, teilgenommen. Hier wurde ich beispielsweise darauf hingewiesen, dass gerade die Restaurants, bei denen man die Bestellungen abholt, den Fahrer:innen oft unhöflich gegenübertreten. Als Rider ist man für ebenjene ein Stressfaktor, da von den Lieferdiensten ein Zeitfenster vorgegeben ist, innerhalb welchem die Bestellungen fertig sein müssen. Auch optisch ist man den Restaurants ein Dorn im Auge – nicht selten wird man angewiesen, diese eher durch Hintereingänge zu betreten.
Du warst also als Vertretung im Einsatz, damit der eigentliche Rider an einer Schulung über seine Rechte als Arbeiter teilnehmen kann – das ist ja absurd. Bist du auch mit den Ridern selbst ins Gespräch gekommen?
Ja, vor meiner Schicht bin ich am Versammlungsort auf einige Rider getroffen, die gerade einen Workshop darüber hatten, wie man sich als Arbeiter:innenschaft organisieren und wie Demokratie im Arbeitskontext stattfinden kann. Ein Rider, in dessen Herkunftsland die politische Lage im Moment sehr angespannt ist, erzählte, dass er wütend und enttäuscht darüber sei, dass auch in seiner derzeitigen Arbeit als Rider in Wien zwar von demokratischen Arbeitsbedingungen gesprochen wird, davon aber wenig zu spüren sei.
Diese verschleiernde Wohlfühlblase, die häufig um prekäre Arbeitsbedingungen herum gebildet wird, thematisierst du etwa auch in deiner Videoarbeit „From Me to We", die derzeit im EIKON Schauraum zu sehen ist – und die passenderweise auf Botendienst-üblichen E-Rollern abgespielt wird. Möchtest du uns kurz durch diese Videoarbeit führen?
Im Video geht es vor allem um die neuen Arbeitswelten, in denen sich diese Gig-Worker bewegen und um Firmen, die sich eine New-Work-Philosophie auf die Fahne schreiben. Die Idee dazu ist entstanden, als ich kurz nach meinem Studienabschluss viele Jobanzeigen durchsuchte und dabei bemerkte, dass – egal welche Position ausgeschrieben wird – immer auf dieselbe Sprache zurückgegriffen wird. Auffällig war auch eine wahnsinnige Positivität in der Bildsprache, ein Versprechen, wie man es aus der Werbefotografie kennt. Ich habe versucht, ebendiese Bildsprache und die immer wiederkehrenden Floskeln in meine Arbeit einzubinden. Dank eines Stipendiums war es mir möglich, mir ein Jahr Zeit dafür zu nehmen, mich für diese ganz unterschiedlichen Jobs zu bewerben und den Prozess zu dokumentieren. So sieht man zu Beginn des Videos einige meiner LinkedIn-Profile, die ich je nach Stellenausschreibung mit passenden Fotos, Skills und Kontakten bestückte, und entsprechende Jobvorschläge, die mir aufgrund meines Profils angezeigt wurden. Durch diesen Teil des Videos führt eine männlich klingende Stimme, die eine Onboarding-Session in Form einer Meditation leitet. Der zweite Teil des Videos wird von einer Protagonistin moderiert, die genau diesen Onboarding-Versprechen folgt und beginnt, diese zu hinterfragen.
Am 15. Oktober wirst du „Liquid Company" um eine von den Erfahrungen deines Wien-Rides gespeiste Arbeit erweitern und sie im Rahmen einer Midissage im EIKON Schauraum vorstellen. Weißt du schon, was du von deiner Schicht als Lieferantin verarbeiten möchtest? Was ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
Diese Erlebnisse müssen noch etwas sacken. Spannend fand ich, die Schicht in einer Stadt zu absolvieren, die ich selbst noch nicht gut kenne, da ich das Gefühl hatte, dadurch noch mehr in einer die Gesellschaft beobachtenden Rolle zu agieren. Auch das Gefühl, während der Rush Hour als Störfaktor für gestresste Fußgänger:innen, Autofahrer:innen oder Pendler:innen unterwegs zu sein, war sehr intensiv. Vielleicht verarbeite ich diese Erfahrungen in einer Collage, einer Videoarbeit, einer Skulptur oder einer Textarbeit, tatsächlich ist das aber noch ganz offen.
Bis dahin bleiben wir also gespannt. Vielen Dank für das Gespräch!
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Luise Marchand, lebt und arbeitet in Berlin. In einem Open Call konnte sich die Künstlerin mit „Liquid Company" gegen 260 Bewerber:innen aus 41 Ländern durchsetzen und die Jury (bestehend aus Verena Kaspar-Eisert, MuseumsQuartier Wien, Pia Draskovits und Nela Eggenberger, beide EIKON) von ihrem Projekt für den EIKON Schauraum überzeugen. Am 15. Oktober erfährt ebendiese Ausstellung eine Erweiterung durch Arbeiten, die während Luise Marchands Residency in MQ entstanden sind.
Luise Marchand: Liquid Company
Midissage: 15.10.2024, 19h
Ausstellung: bis 25.10.2024
Ort: EIKON Schauraum | MQ Schauräume