Ausstellung „Stopover – Ways of Temporary Exchange“ im MuseumsQuartier Wien
Freundschaft und Austausch, soziale Bewegungen und Aktivismus, die historische Dimension des Imperialismus sowie seine Auswirkung auf die Gegenwart und das Erstarken neuer Nationalismen sind die Themen der neuen Ausstellung „Stopover – Ways of Temporary Exchange“ im frei_raum Q21 exhibition space. Die Schau basiert dabei auf dem in Kooperation mit tranzit und ERSTE Stiftung durchgeführten Artist-in-Residence Programm im Q21/MuseumsQuartier. Begleitend dazu bieten zahlreiche Veranstaltungen und Exkursionen Gelegenheit zum temporären Austausch und betonen den prozesshaften Charakter. Eröffnung ist am 21. September, 19 Uhr, bereits um 11 Uhr findet eine Presseführung statt.
Freundschaft und Austausch, soziale Bewegungen und Aktivismus, die historische Dimension des Imperialismus sowie seine Auswirkung auf die Gegenwart und das Erstarken neuer Nationalismen sind die Themen der neuen Ausstellung „Stopover – Ways of Temporary Exchange“ im frei_raum Q21 exhibition space. Die Schau basiert dabei auf dem in Kooperation mit tranzit und ERSTE Stiftung durchgeführten Artist-in-Residence Programm im Q21/MuseumsQuartier. Begleitend dazu bieten zahlreiche Veranstaltungen und Exkursionen Gelegenheit zum temporären Austausch und betonen den prozesshaften Charakter. Eröffnung ist am 21. September, 19 Uhr, bereits um 11 Uhr findet eine Presseführung statt.
Seit 2011 gibt das Artist-in-Residence-Programm des Q21/MuseumsQuartier in Kooperation mit tranzit und ERSTE Stiftung Kulturschaffenden aus Rumänien, der Slowakischen Republik, der Tschechischen Republik und Ungarn die Möglichkeit in einem Studio im MuseumsQuartier Wien zu leben und zu arbeiten.
Die Schwerpunkte solcher Künstlerstudioprogramme sind unterschiedlich: sie bieten Raum für Selbstreflexion und Inspiration oder die Möglichkeit der Zusammenarbeit und Kooperation mit lokalen Communities. Aber immer verlassen die TeilnehmerInnen für einen befristeten Zeitraum ihr gewohntes Umfeld. Damit bieten Residencies auch die Möglichkeit, um sich kritisch mit sozialen oder politischen Themen des jeweiligen Heimatlandes auseinander zu setzen und sich Zwängen zu widersetzen.
Die Ausstellung „Stopover – Ways of Temporary Exchange“ betrachtet Residencies als temporäre, lokale Aufenthalte, die vielfältige Möglichkeiten des Austausches zwischen Menschen unterschiedlicher Lebenswelten bieten. Die KünstlerInnen beschäftigen sich zum einen mit Themen aus ihrem Lebensumfeld, aus dem sie kommen und werden gleichzeitig durch die neue Stadt, in der sie leben, inspiriert. Den in der Ausstellung gezeigten Arbeiten liegen unterschiedliche Geschichten zu Grunde, die in der Regel mit der Region, aus der die KünstlerInnen kommen, in Zusammenhang stehen. Gleichzeitig werden Visionen einer globalen Zukunft erarbeitet. Alle leisten daher einen wichtigen Beitrag zur Kunst- und Kulturproduktion innerhalb und außerhalb der früher oftmals als einheitlich „Osteuropa“ bezeichneten Region.
Wien wird beinahe 30 Jahre nach dem Fall des „Eisernen Vorhanges“ nach wie vor umstrittenerweise als Tor zwischen „Osten“ und „Westen“ bezeichnet. Diese Kontroverse hat einerseits mit der Geschichte Österreichs als ehemalige Monarchie zu tun, als Wien speziell zur Jahrhundertwende 1899/1900 ein Schmelztiegel verschiedener Völker war. Andererseits spielt die Position Österreichs als neutrales Land des „Westens“ und Aufnahmeland für GastarbeiterInnen in den 1960er und 70er Jahren eine Rolle. Besonders nach 1989 war Wien Gastgeberin für KünstlerInnen und WissenschafterInnen aus den Nachbarländern und setzte so die lange Geschichte des kulturellen Austausches fort.
In den vergangenen Jahren hat sich das politische und soziale Klima in ganz Europa verschlechtert. Es gibt zunehmenden Rassismus gegenüber EinwanderInnen, Flüchtlingen und MuslimInnen sowie eine generelle Feindseligkeit gegenüber dem „Anderen“. Die Ausstellung „Stopover“ zeigt die unterschiedlichen Perspektiven der verschiedenen KünstlerInnen, basierend auf den Erfahrungen in ihren Heimatländern sowie der Gaststadt Wien, in der sie als Artists-in-Residence leben. Neben sozialen Bewegungen und Aktivismus sowie feministischen und antirassistischen Diskursen werden Fragen in Zusammenhang mit Migration, der Lage und dem Leben von Flüchtlingen, Grenzpolitik sowie Solidaritätsbekundungen beleuchtet. Die individuellen Positionen der KünstlerInnen werden unter Bezugnahme auf ihre Träume und Erfahrungen mit prekären Lebensbedingungen thematisiert.
So wird die rumänische Künstlerin Cristina David für die Dauer der Ausstellung die Räumlichkeiten des Ausstellungsraumes „besetzen“ und diese für ihre eigenen Bedürfnisse nutzen. Sie möchte damit infrage stellen, wie es sein kann, dass Kunstwerke in hohem Maße geschützt und umsichtig gepflegt werden und ihnen viel wertvoller Raum zugesprochen wird, Kunstschaffende hingegen häufig mit einer prekären finanziellen Lage und schlechten Lebensbedingungen zu kämpfen haben. Die Architektin Ana-Maria Machedon entwarf und baute für sie daher einen realen Wohnraum, den diese im Zentrum der Ausstellung bezieht. David hat für die Dauer ihres Aufenthaltes eine Reihe von Veranstaltungen vorbereitet. Darunter eine „Nachstellung eines Schachspieles“ in einer gemeinsamen Performance mit dem Wiener Schachhistoriker Michael Ehn. Diese findet am 7. Oktober im Rahmen der „ORF Lange Nacht der Museen 2017“ statt.
Die Arbeiten des slowakischen Künstlers Oto Hudec sind von persönlichen Erfahrungen, Sehnsüchten und Träumen geprägt, die er weiterentwickelt, um Themen wie Engagement für Mitmenschen und den Planeten, Nachhaltigkeit, Gemeinschaft, Austausch, Migration, das Leben und die Kultur der Roma sowie Achtung vor kulturellen Traditionen anzusprechen. Als Mitglied des internationalen Kreativteams „Make Art with Purpose“ glaubt er daran, dass Kunst „Gespräche oder kleine Aktionen“ anregen kann, die „Teil eines größeren Wandlungsschubs sind“. Seine Installation „Long, Long Road“ besteht aus einem Tisch, der mit Sand bedeckt ist, über dem ein Film auf eine Art großer Plakatwand projiziert wird. Sowohl Projektion als auch Projektor werden Teil der Landschaft, als Zeichen dafür, dass die Vorstellung einer leuchtenden Zukunft die treibende Kraft auf dem Weg der MigrantInnen ist.
Wie entwirft und erzeugt man das Erscheinungsbild eines Ortes? Wie wird es dargestellt und vermittelt?
Mit dem Projekt „Sissi Quartier“ untersucht die Budapester Gruppe Polygon Creative Empire in der „MQ ART BOX“ im MQ Haupthof, wie Wirtschaft und Kultur miteinander verflochten sind und wie Raum durch soziale Interaktionen konstituiert wird. Die Region zwischen den Städten Wien, Bratislava und Győr nennt man das Goldene Dreieck, die Regionalisierung dieses Gebiets wurde jedoch nie ganz abgeschlossen. „Sissi Quartier“ ist ein fiktiver Immobilieninvestitionsplan, der auf spielerische Weise versucht, eine „Region“ zu erschaffen, die durch ihre Infrastruktur und ihr Wirtschaftspotenzial die Kapitalvorgaben erfüllt, dabei jedoch weder mit der lokalen Bevölkerung noch mit dem lokalen Kontext irgendeine sinnvolle Verbindung eingeht.
Die Arbeit wird in Kooperation mit der „MQ ART BOX“ gezeigt. Seit 2014 ist die „MQ ART BOX“ im Haupthof des MuseumsQuartier, kuratiert von Elisabeth Melichar, ein Ausstellungsraum für temporäre Kunstinstallationen.
Johanna Tinzl und Stefan Flunger aus Wien bewegen sich mit ihrem Filmprojekt „La valla es europeo. The Fence is European. Der Zaun ist europäisch“ wörtlich wie im übertragenen Sinn entlang der Außengrenzen der Europäischen Union. Dort, wo meterhohe Zäune, Barrikaden und militärische Patrouillen verhindern sollen, dass ZuwanderInnen aus nicht europäischen Staaten die topografischen und/oder politischen Grenzen Europas überschreiten, extrahieren die KünstlerInnen strukturelle Ähnlichkeiten zwischen den von ihnen besuchten Orten und präsentieren sie im Ausstellungsraum als visuelle Essenzen ihrer Reisen.
Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts gestalteten Handwerker aus Friaul, die als Wanderarbeiter vor allem in Kärnten, aber auch im gesamten Raum der Österreichisch-Ungarischen Monarchie tätig waren, sogenannte Ziegelgitterfenster. Diese zierten die Fensteröffnungen von Scheunen in landwirtschaftlichen Gebieten. Die Gestaltung der Fenster setzte spezielle handwerkliche und bautechnische Fähigkeiten voraus, die in Österreich zu jener Zeit nicht gegeben waren. Der österreichische Künstler Hannes Zebedin beruft sich in seiner in situ Arbeit „When Freedom Exists, There Will Be No State“ in einem Außenfenster des Ausstellungsraumes auf diese Tradition und interessiert sich dabei vor allem für den damit einhergehenden kulturellen Austausch. Die Ziegelarbeiten stellen somit Artefakte von tradiertem und interkulturellem Handwerks- und Wissenstransfer dar.
Die meisten Dinge, die wir herstellen, veräußern, erwerben oder anhäufen, sind vergänglich. Dazu zählt auch Geld. Geld ist eine fiktive Einheit, ein materielles Versprechen, das (zu) ernst genommen wird. Seine Existenz beruht allein auf Vertrauen, sein flüchtiger Wert ist abhängig von menschlichen Investitionen. Aus Faszination über die Ambiguität des Geldes gossen das rumänisch-slowakische Duo Anetta Mona Chişa & Lucia Tkáčová für ihre Arbeit „Things in Our Hands“ aus eingeschmolzenen Euromünzen eine Reihe von Skulpturen. Ähnlich der Geschichte des Geldes zeigen diese Skulpturen die Entwicklung vom Konkreten zum Abstrakten. „Things in Our Hands“ verkörpert das „Vorher” und „Nachher“ in der Existenz des Geldes in unserer Welt und materialisiert den Start- und Endpunkt seines Verlaufs.
Zbyněk Baladrán aus Prag setzt sich in seiner Arbeit „Contingent Propositions“ mit den Konsequenzen von politischen, ideologischen und gesellschaftlichen Systemen – Faschismus, und Kommunismus, aber auch Kapitalismus – auseinander. Auf der Grundlage von gefundenem Bild- und Textmaterial aus Zeitungsquellen, wie der kommunistischen Tageszeitung „Rudé právo“ (1971-1989) und der nachrevolutionären liberalen Tageszeitung „Lidové noviny“ (1989-2008), stellt er diese Dokumente in einen Bezug zur globalen Wirtschaftskrise von 2008 und skizziert eine unbestimmte globale Zukunft. Baladrán wurde auch mit der Entwicklung der Ausstellungsarchitektur beauftragt.
Ein umfangreiches Begleitprogramm mit Performances, Exkursionen und Artist Talks bietet über die gesamte Ausstellungsdauer Gelegenheit zum temporären Austausch und betont den prozesshaften Charakter:
Unter anderem thematisiert der tschechische Künstler Aleš Čermák in der Performance „POLO SHIRT [DISCIPLINE]“ die illegale Überwindung von politischen Grenzen. Flüchtende Menschen verstecken sich in Fahrzeugen in winzigen Hohlräumen wie im Motorraum oder hinter dem Armaturenbrett. Der menschliche Körper wird dabei zum Hindernis, politische Grenzen werden direkt spürbar.
Chinesisches Schattentheater zeigt die ungarische Gruppo Tökmag mit „Sárkány Lee“. In dieser einzigartigen Geschichte vermischen sich die alltäglichen Erfahrungen eines Roma-Teenagers mit fantastischen Episoden. Eine Exkursion nach Bratislava bietet die Arbeit der slowakischen Gruppe Abandoned (re)creation (Andrea Kalinová und Martin Zaiček). Sie befassen sich mit wenig beachteter, verlassener oder bedrohter Architektur des 20. Jahrhunderts. Ziel ist es, durch ortsspezifische künstlerische Eingriffe an den jeweiligen Orten die Aufmerksamkeit und das Interesse an dieser Architektur wieder zu beleben und zu aktivieren. Ein Symposium am 19. Oktober spürt dem Stellenwert der Kunst in sozialen Bewegungen und Aktivismus nach. Im Rahmen der „Vienna Art Week 2017“ findet am 17. November mit „Feminist Art Practices“ eine Art Gender Woodstock mit Performances und Vorträgen statt.
KünstlerInnen:
Abandoned (re)creation (SVK), Zbyněk Baladrán (CZE), Igor and Ivan Buharov (HUN), Aleš Čermák (CZE), Anetta Mona Chişa & Lucia Tkáčová (ROU/SVK), Cristina David (ROU), Ricarda Denzer (AUT), Katalin Erdődi (HUN), ex-artists’ collective (HUN), Ferenc Gróf (HUN), Gruppo Tökmag (HUN), Márton Gulyás (HUN), Oto Hudec (SVK), Adela Jušić (BIH), Lenka Kukurová (SVK), Ioana Nemeş (ROU), Polygon Creative Empire (HUN), Isa Rosenberger (AUT), Alina Şerban (ROU), Tereza Stejskalová (CZE), Kamen Stoyanov (AUT), Johanna Tinzl & Stefan Flunger (AUT), Mona Vătămanu & Florin Tudor (ROU), Raluca Voinea (ROU), Hannes Zebedin (AUT)
Kuratorinnen:
Judit Angel, Michaela Geboltsberger und Dóra Hegyi für tranzit
Christiane Erharter und Heide Wihrheim für ERSTE Stiftung
„Stopover – Ways of Temporary Exchange“ wird in Kooperation mit dem Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres organisiert.
Stopover – Ways of Temporary Exchange
Dauer: 22.09. bis 25.11., Di–So 13–20h, Eintritt frei
Eröffnung: Do 21.09., 19h
Presseführung: Do 21.09., 11h
Ort: frei_raum Q21 exhibition space/MuseumsQuartier Wien
www.Q21.at
#stopover
Direktor MuseumsQuartier Wien: Dr. Christian Strasser