Markus Oberndorfer über den Reiz der Tiefe und das Schaffen von Gefühlsräumen in seiner Kunst und Musik
Ein Interview mit dem bildenden Künstler und DJ Markus Oberndorfer aka LENS J, der am 15.07.2024 auf der MQ Sommerbühne eine Auswahl seiner Lieblingsschallplatten präsentieren wird.
In deiner künstlerischen Arbeit legst du einen Schwerpunkt auf Fotografie und audiovisuelle Medien. Wie sollen Betrachter:innen deine Werke erleben, was können sie davon mitnehmen?
Ich sehe das so: Jede Erfahrung ist subjektiv, eine Sache der persönlichen Perspektive und abhängig von Erlebtem und Gelerntem. Ich würde behaupten man kann einiges mitnehmen. Was, liegt im Auge der Betrachter:innen und ihrem Interesse sich mit dem auseinander zu setzten was ihnen präsentiert wird.
Erklärt am Beispiel von Musik: Man kann sich der Stimmung eines Musikstückes hingeben, man kann aber auch versuchen es zu deuten, den Text zu verstehen oder sich Auszüge daraus mit auf den Weg nehmen. Ähnlich hoffe ich dass meine Werke etwas in Betrachter:innen auslösen. Damit hat man als Künstler:in schon viel geschafft. Wer in die Tiefe gehen möchte, muss sich — so wie bei allem anderen auch — die Zeit nehmen etwas für sich zu erschließen oder begleitende Texte lesen. Meine künstlerische Arbeit ist ein Versuch, die gefühlt täglich komplexer werdende Welt um mich herum besser zu verstehen. Wenn ich anderen dabei helfen kann, bin ich glücklich.
Für die Ars Electronica bei der 2019 Teile meines Projekts „REVISITED“ gezeigt wurden war meine Arbeit wie folgt beschrieben: „Markus Oberndorfers kreative Erkundungen umfassen Fotografien, 360°-VR-Videos, Spacetime-Collagen in Form von Drucken und Video-Panoramen, Akkordeonbücher, Musik und vieles mehr. Sie sind Ausdruck einer komplexen Untersuchung unserer gegenwärtigen Medienlandschaft und beleuchten den massiven Einfluss, den Medien, die Zeit und ihre Konzepte auf uns, unsere Lebenswelt, ihre Darstellung und letztlich auch auf unsere Erfahrung und Wahrnehmung haben.“
Meine Arbeiten sind der Versuch einer Annäherung an Momente die mich selbst berührt haben. Manchmal in Form einer einzelnen Fotografie, manchmal in Form von über Jahre entwickelten Werkzyklen, die sich mit dem von mir Dokumentierten ebenso auseinandersetzten wie mit den von mir genützten Medien.
Man kann Betrachter:innen nur einen Einstieg in die ihnen angebotenen Welten bieten, von dem aus sie weiter vordringen können, wenn sie das möchten. Wie beim DJing oder in der Musik. Eine Wechselwirkung aus „Call and Response“. Es liegt nicht nur am DJ, ob eine Party funktioniert, sondern auch am Publikum und dessen Bereitschaft sich auf Neues einzulassen.
Manche Künstler:innen arbeiten mit Schockmomenten; ich versuche es in meinen Arbeiten eher über ästhetische Komponenten hinter denen sich meist komplexe Konzepte, viel Research, Gedanken zu Geschichte, Gedächtnis, und Medientheorie verbergen. Im besten Fall schaffe ich Gefühlsräume, in denen sich Betrachter:innen wiederfinden, auf sich selbst zurückgeworfen fühlen oder mit denen sie etwas von mir Beabsichtigtes verbinden — unabhängig davon ob sie eine Fotografie betrachten, in audiovisuelle immersive 360-Grad-Umgebungen eintauchen oder Ausstellungen mit mehreren Arbeiten oder Querverweisen ansehen.
Dein Label „Darkroom Debuts“ agiert an der Schnittstelle von Bildender Kunst und Musik, was reizt dich daran?
Sound und Musik spielen eine wichtige Rolle beim Schaffen von Gefühlsräumen und können unsere Wahrnehmung entscheidend beeinflussen.
Musik macht etwas mit dem Menschen, wie jedes andere Medium auch. Marshall McLuhan, den ich in Texten zitiert und dessen Wordsamples aus Vorlesungen ich in Musik-Produktionen einfließen hab lassen, hat sich intensiv damit beschäftigt. Aus seinem Titel „The Medium is The Message“ wurde durch einen Druckfehler „The Medium is The Massage“. Und genau das ist es. Eine Botschaft, aber auch eine Massage der Sinne.
Es wurde mir durch die Arbeiten von Stan Douglas klar, dass Musik, um Teil des Kunstkontexts zu werden, nicht immer experimentell sein muss, sondern auch etwas sein kann, das ich im Alltag höre. Im speziellen war das „Klatsassin“. Ich kann mich genau an den Moment erinnern an dem ich im Stuttgarter Kunstverein 2007 plötzlich einen Dub-Track von Rhythm & Sound gehört habe, den ich auf Vinyl zuhause habe. Ich hatte schon davor aus Interesse neben meinem Studium an der Akademie Vorlesungen zu Psychoakustik an der Uni Wien belegt, aber das war ein Schlüsselmoment von dem ausgehend ich versucht habe Musik vermehrt und ganz bewusst in meine Projekte zu integrieren. Insbesondere in Hinblick auf ihr Potential als Atmosphäre stiftendes Medium.
Mein Label habe ich gegründet, um Releases, die mit meiner Arbeit zusammenhängen unter einem Dach zu vereinen. Ich mache damit keine klassische Label-Arbeit: Es veröffentlicht nur Musik von Produzent:innen, die ich einlade, etwas zu meiner Bildenden Kunst beizusteuern, oder die von mir stammt. Dafür verwende ich die Pseudonyme „SirLENSalot“ oder „LENSon Piquet“.
Der Name „Darkroom Debuts“ ist eine Anlehnung an die analoge Farbdunkelkammer, in der ich zwei Jahrzehnte mit Fotografie und Musik verbracht habe. Auch die Katalognummern der Platten, die immer mit DROOM (was auf Holländisch TRAUM bedeutet) beginnen, beziehen sich darauf. Man muss sich bewusst machen, dass es in der Farbdunkelkammer immer stockdunkel ist. Anders als in der Schwarz-Weiß-Dunkelkammer kann man nicht im Rotlicht arbeiten und befindet sich in einer Art „Zwischenraum“, ähnlich wie in einem Flugzeug. Zumindest war und ist das für mich so. Man interpretiert einen vergangenen Moment, das Licht auf einem Negativ, so wie man ihn sich gerade vorstellt und wie man ihn eben erinnert. Auch durch und mit Musik. Diese Erfahrung habe ich unter anderem in meiner Arbeit „Sense of Balance“ verarbeitet.
Manche Releases, wie der mit dem oben erwähnten Projekt REVISITED zusammenhängende REVISIT Soundtrack, sind einerseits musikalischer Unterbau für eine fiktive Radiosendung in der 360° VR Installation „Das Gewöhnliche inszenieren“, und andererseits Teil eines durchdachten visuellen Collage-Konzepts das sich mit Raum, Zeit, Rhythmus und Perspektive auseinandersetzt. Das jetzt detaillierter zu erklären, würde den Rahmen sprengen, aber der Reiz liegt für mich eben genau in diesem In-die-Tiefe-gehen und darin, mich selbst herauszufordern. Diese Gedankenkonstrukte brauche ich aber vor allem für mich selbst und die inhaltliche und visuell präzise Erarbeitung meiner oft umfangreichen Werkgruppen, die dann im besten Fall dazu führen, dass Betrachter:innen etwas fühlen, das sie zur Reflexion bewegt.
Wie bereits erwähnt kann man anderen nur einen Einstieg bieten — so wie es auch dieses Interview tut. Wer mehr wissen möchte, kann mir, wie du es tust konkrete Fragen stellen oder Bilder und Texte auf meiner Website finden und lesen. Die wird übrigens gerade neu und funktionaler gemacht.
Woher kommt deine Begeisterung für Schallplatten?
Begonnen hat alles mit den im Hip-Hop der 90er omnipräsenten vier bzw. eigentlich fünf Elementen, zu denen neben Rap, B-Boying, Graffiti, und Knowledge of Self auch das Djing zählt. Damals konnte man ohne Schallplatten kein DJ sein. Es war Teil der Kultur. Schallplatten waren abgesehen von der Musik, die man haben und hören wollte, also auch Werkzeuge. Dementsprechend sehen manche meiner älteren Platten auch aus.
In den letzten 20 Jahren wurde die Begeisterung für Schallplatten und das Medium vielschichtiger:
Vinyl bedeutet für mich heute Entschleunigung und Limitierung in einer von konstanten Reizen geprägten Welt, der man sich manchmal bewusst entziehen muss, um selbst kreativ zu sein. Es ist ähnlich wie mit meinem Hauptmedium, der analogen Fotografie. Ich kann pro Film nur zehn Mal abdrücken. Jeder Klick ist mit Kosten und damit auch mit bewussten Entscheidungen verbunden; so auch jeder Plattenkauf. Man überlegt sich genau was man wirklich will oder wie man zum besten gewünschten Ergebnis kommt.
Das heißt nicht, dass ich andere Medien oder digitale Musik kategorisch ausschließe, wie man an meiner künstlerischen Arbeit und ihrer medialen Vielseitigkeit sieht. Ich lege Musik auch oft digital auf, aber es fühlt sich auf vielen Ebenen anders an. Schallplatten sind etwas sehr Spezielles. Sie sind ein audiovisuelles und in sich abgeschlossenes Werk. Ein Zusammenspiel von Cover Art, Musik und Erlebnis mit im besten Fall durchdachter Dramaturgie.
Platten liegen bei mir oft tagelang auf dem Teller. Ich höre dieselben immer wieder, nicht weil es nicht genügend andere geben würde, sondern weil sie mich in bestimmte Gemütslagen versetzen oder ich eben bewusst genauer hinhören möchte. Manche Platten katapultieren mich dabei schon nach wenigen Takten in andere Welten. Das ist eine der vielen Qualitäten von Musik. Die Schallplatte macht es einem nur einfacher, über etwas eigentlich Vergessenes im Regal wieder zu stolpern. Sie sind wie Zeitkapseln. Ich weiß bei fast jeder wann oder wo ich sie gekauft habe.
Abgesehen von all dem gibt mir das Plattenkaufen eine Möglichkeit andere Künstler:innen, deren Schaffen ich schätze, zu unterstützen. So wie es Sammler:innen mit meinen Arbeiten auch machen. Ohne diesen Support wäre vieles nicht möglich, nicht nur wegen des Geldes, sondern auch wegen der damit verbundenen Wertschätzung, aus der man eben Inspiration und Antrieb schöpft. Ich möchte etwas zurückgeben für die Freude, die mir Musik bereitet.
Was können Besucher:innen des Monday Listening Clubs, der von Künstler Martin Markeli gehostet wird, am 15.07. von deinem Live DJ-Set auf der MQ Sommerbühne erwarten?
Es wird von Cumbia und Dub, über Jazz, Hip-Hop und Funk bis hin zu Afro, Disco und Exotica alles sein. Lieblingsplatten, quer durchs musikalische Gemüsebeet. Alles abgesehen von 4-to-the-floor, also House, Techno und derartiges; das hat sich Martin Markeli so gewünscht. Ein Track von Larry Heard aus den 80ern, der als wegweisend für das Genre Deep House gilt, ist aber vermutlich dabei. Eingepackt wird er, ob er passt oder nicht, werden wir sehen.
Ich spiele nie vorbereitete Sets, sondern packe zuhause etwas ein und „sehe dann wo die Melodie mich hinträgt“ um es mit den Worten des kanadischen Rappers Moka Only zu sagen. Ich möchte an diesem Abend nicht mich als DJ in den Vordergrund stellen, sondern der Musik ihren Raum geben und sie wirken lassen, dem Konzept der Listening Session folgend. Mit bewusst ausgewählten Goodies aus einer über fast drei Jahrzehnte gewachsenen Sammlung. Viele Nummern werden manche vermutlich zum ersten Mal hören.
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Markus Oberndorfer studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien. Er ist freischaffender bildender Künstler mit Schwerpunkt auf Fotografie und zeitbasierte, audiovisuelle Medien und lebt und arbeitet in Wien. Er ist Mitgründer des seit 1998 bestehenden Kollektivs Rotaug, Vinyl-Sammler und betreibt das Label „Darkroom Debuts“ das an der Schnittstelle von Bildender Kunst und Musik agiert.
Interview & Konzept: Magdalena Winkelhofer, MQ Wien
Videos/Abbildungen: © Markus Oberndorfer