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Balázs Turai über dramatische Erzählungen, Ästhetik und moralisch-künstlerische Labyrinthe

Interview

Balázs Turai über dramatische Erzählungen, Ästhetik und moralisch-künstlerische Labyrinthe

Ein Interview mit Animationskünstler, Autor und Regisseur Balázs Turai, der gerade als MQ Artist-in-Residence im MuseumsQuartier zu Gast ist.

Balázs, deine Filme kombinieren kraftvolle Animationen und fabelhaftes Design mit düsteren und ernsten Themen. Wie bist du zu dieser einzigartigen Kombination von Stilen und Themen gekommen? Was spricht dich visuell an und wie integrierst du das in deine Filme?

Vielen Dank! Das ist einfach das, was ich an Filmen genieße: dramatische Erzählungen und interessante Ästhetik. Es gibt eine europäische Tradition, dass "ernsthafte" Filme braun, grau oder schwarz-weiß sein müssen, aber ich bevorzuge alle anderen Farben auf der Palette. Die Kombination, die ich mag kommt von Sci-Fi- und B-Movies im Allgemeinen, die sich nicht scheuen, spektakulär und unterhaltsam aussehen zu wollen, und dennoch müssen sie nicht komplett dumm sein. Ich möchte nicht nur in ein intellektuelles, sondern auch in ein visuelles Universum geführt werden (und schließlich ist ein visuelles Universum intellektuell) – wo ich alle Eindrücke der Welt genießen kann, nicht nur die reine psychologische Erzählung. Und natürlich gibt es eine Reihe von "großen" Regisseuren, die auf diese Kombination abzielen: Kubrick, Spielberg, Ridley Scott, Tarantino, Gaspar Noé usw.

In AMOK – dem Film, der letztes Jahr in Wien bei dem internationalen Kurzfilmfestival VIENNA SHORTS ausgezeichnet wurde und dir in diesem Jahr den einmonatigen Aufenthalt im MQ eingebracht hat – kann man den Protagonisten entweder als Opfer oder als Täter interpretieren. Kannst du uns erzählen, wie du mit dieser moralischen Mehrdeutigkeit gearbeitet hast?

Genau, er ist ein Opfer-Täter, der sowohl bestraft, dem aber auch vergeben wird. Das ist einfach das, was mir richtig erscheint (meine Erziehung war auch vom Christentum beeinflusst). Aber der Prozess, die endgültige Erzählung zu finden, war lang und qualvoll. Ich habe etwa ein Jahr lang die Geschichte umgeschrieben, Therapie gemacht, bin viel umhergegangen und habe vor mich hin gemurmelt – die Symptome, in einem moralischen/künstlerischen Labyrinth verloren zu sein, denke ich. Aber meiner Meinung nach hatte der Prozess ein glückliches Ende und ich fühle mich erleichtert.

Nicht nur hat AMOK in Wien gewonnen, sondern er erhielt auch weltweit Lob und Auszeichnungen. Hat der Erfolg dieses Films etwas für dich verändert, insbesondere in Bezug auf deinen Arbeitsprozess oder haben sich neue Möglichkeiten ergeben?

Ja. Nach einem Jahrzehnt des Versuchens hat mir dieser Erfolg bewiesen, dass ich in der Lage bin, etwas zu produzieren, das den Zuschauer:innen gefällt. Also konnte ich endlich aufhören, mir über diese Hürde Sorgen zu machen, und mich einfach dem Filmemachen widmen. Was die Finanzierung betrifft, hat der Film mich auch in eine gute Position gebracht. Mein nächster Kurzfilm wird also sowohl finanziell als auch psychologisch viel einfacher zu produzieren sein. Und ich werde sehen, ob ich eine Siegesserie starten kann.

Während deiner Residency im MQ wirst du an einem neuen Film arbeiten: Wie sieht dein Arbeitsprozess im Allgemeinen aus? Und kannst du uns schon verraten, worum es gehen wird?

Ich schreibe den Piloten für eine Serie namens "Little House on the Prairie on the Spaceship". Im Wesentlichen geht es um Passagiere im Winterschlaf auf einem interstellaren Raumschiff, die verschiedene experimentelle virtuelle Welten erleben. Ich sehe eine Idee wie eine Art ZIP-Datei (komprimiertes Dateiarchiv), zuerst packt einen das Vorschaubild, dann (vielleicht Jahre später) entpackt man es langsam. Und wenn ein komplexes Konzept entsteht, kann es formuliert und zu einem Pitch zusammengefügt werden. Und die Idee selbst kann von überall herkommen, obwohl die Ideen, die mich packen, scheinbar aus extremeren Lebenssituationen stammen – emotionalem Aufruhr oder Ekstase, Reisen, Abenteuern usw.

Für die Musik wirst du wieder mit Benjamin Efrati zusammenarbeiten (wie bei AMOK). Wie funktioniert diese Zusammenarbeit und welche Rolle spielt Musik generell in deinen Filmen?

Ich arbeite seit 20 Jahren mit Ben zusammen, seit wir uns in der High School getroffen haben. Wir haben alle Arten von Kooperationen ausprobiert: zuerst Animation und danach Musik, oder zuerst Musik, illustriert mit Animation, oder sogar beides gleichzeitig (für eine Webserie, die sehr schnell produziert werden musste). Für mich sind Musik und Animation sehr nahe beieinander, Animation hat viel Musikalität. Es ist schön, mit verschiedenen Registern zu spielen, wie sie sich treffen können: Musik kann als traditionelle Filmmusik fungieren, emotionale Hinweise geben und die erzählerische Stimmung angeben, bei Animation ist es sehr einfach, die beiden Medien in völliger Symbiose zu vereinen. Musikalische und visuelle Details, die miteinander tanzen, wie in einer Winamp-Musikvisualisierung oder diesen Tom und Jerry Episoden, die komplett zu einer Musikpartitur geschrieben werden und auf jede Vibration der Musik reagieren.

Du kommst aus Ungarn und beschreibst dich selbst als politisch aktiv. Wie verbindest du deinen Aktivismus mit dem Filmemachen? Und angesichts des diesjährigen Mottos des VIENNA SHORTS Festivals (What are you longing for?): wonach sehnst du dich in gesellschaftlicher/politischer, aber auch persönlicher Hinsicht?

Ich habe zwei Staffeln einer politischen Webserie namens Oligarchia produziert (alles auf Ungarisch aber einen Eindruck davon kann man hier bekommen). Für meine Kurzfilme gehe ich auch gerne auf sozial-politische Themen ein, aber nicht auf tagesaktuelle Politik – das nimmt einer literarischen Erzählung etwas weg. Aber ich habe ein inneres Bedürfnis nach Aktivismus, um mich ganz und menschlich zu fühlen, genauso wie ich Nahrung, Bewegung usw. brauche. Da ich jetzt in Österreich bin, kann ich mir vorstellen, wie Ungarn mit einer humaneren und weniger korrupten Verwaltung sein könnte. Die beiden Länder sind sich in Geschichte und Potenzial sehr nahe, doch der kulturelle Unterschied ist extrem, da Ungarn bewusst von seiner aktuellen Regierung in einen moralischen und intellektuellen Saustall verwandelt wird. Was ich mir wünsche, wie viele andere Ungarn auch, ist nicht nur ein Regierungswechsel, sondern auch das (Wieder-)Erwachen einer rationalen und humanen Zivilgesellschaft. Was mich und andere in meinem Gewerbe betrifft, würde das zum Beispiel bedeuten, dass nicht nur die Günstlinge der Regierung, sondern auch kritische Stimmen, deren Ziel es ist, die Führung nicht nur zu erfreuen, sondern auch zu verbessern, finanzielle Unterstützung erhalten.

Balázs Turai, 2022 © Éva Szombat

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Das Interview führte Anna Roth von VIENNA SHORTS.
Deutsche Übersetzung: Magdalena Winkelhofer, MQ Wien

Abbildungen: © Balázs Turai

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